: Ein großes Problem
betr.: „Aktionsplan gegen Antisemitismus“, „Latenter Antisemitismus ist inzwischen Konsens in Europa“, Interview mit Ilka Schröder, taz vom 20. 2. 04
EU-Kommissionspräsident Romano Prodi meint: „Wir müssen alle verfügbaren Instrumente … einsetzen, von der Polizei, der Justiz bis zur Bildung und zu sozialen Maßnahmen.“ Immer wenn ich irgendwo lese, man wolle die Polizei zur „Bekämpfung“ eines gesellschaftlichen Abdriftens ins Vorgestern einsetzen, sträuben sich mir die Nackenhaare. Wenn irgendeine Institution am ungeeignetsten dazu ist, dann die Polizei. Da gibt’s zwar Plakataktionen und PR-Aktivitäten, da strahlen freundliche und kommunikationsfähige Beamte oder blondbezopfte grüne Streitkräfte lächelnd an Einsatzorten entgegen (oder nur in Köln?), aber wie sieht es hinter den Fassaden aus?
[…] Ist Geschichtskritik an der Polizei – mit Ausnahmen – wirklich in aller Breite erwünscht? Ist eine Antisemitismus- und Rassismusdebatte an der Basis – oder auch in der Hierarchie – wirklich gewollt? Ist Kritik an innerorganisatorischen Ignoranzen in Fragen der Ethik tatsächlich angesagt in der Polizei? Nein. Sonst würden Debatten anstelle inszenierter Vortrags- oder Medienveranstaltungen ins Arbeitsleben integriert.
Da bekommt der Kritiker Post zu lesen wie: „Lass das Geschwafel sein!“ oder „Wie kann man sich mit ausländischen Vereinen wie amnesty überhaupt befassen“ oder aber auch: „Mach ruhig weiter. Viele bei uns trauen sich nicht, sich der Mehrheit der Rechten zu widersetzen.“ In jedem Fall sind wirklich kritische Mitarbeiter in der Polizei (und sicher auch in anderen Berufen des öffentlichen Lebens) eher unbeliebt; was sich auch im Einkommen niederschlägt. Und da will EU-Kommissionspräsident Romano Prodi ausgerechnet die Polizei gegen Antisemitismus einsetzen? Wie glaubwürdig soll das denn werden? Und wie soll das aussehen? BERNWARD BODENArbeitskreis Polizisten für Gerechtigkeit und Frieden, Köln
Ich stimme zu: Antisemitismus ist ein großes Problem in Europa, Ilka Schröders Engagement auf europäischer Ebene großartig. Doch selbst sie verfällt dem unseligen Reflex, Antisemitismus untrennbar mit einer propalästinensischen Einstellung zu verquicken. Das macht traurig. Ist es doch gerade die Ansicht, wer für die einen ist, muss zwangsläufig gegen die anderen sein, die einen vernünftigen Dialog im Nahen Osten so schwierig macht.
OLIVER BERTHOLD, Berlin
Die Behauptung Ilka Schröders, der steigende Antisemitismus wäre an der EU-Umfrage belegbar, ist eine schlichte Fehlinterpretation. Die Frage lautet nicht „Welches Land stellt die größte Bedrohung für den Weltfrieden dar“, sondern „Welches der folgenden Länder (insgesamt 15 zur Auswahl) stellt ein Bedrohung für den Weltfrieden dar“. Palästina war in der Liste aber gar nicht aufgeführt. Es ist also durchaus möglich, dass viele Befragte Israel stellvertretend für den Palästinakonflikt genannt haben. Und dass dieser nicht gerade zum Weltfrieden beiträgt wird auch Frau Schröder zugeben müssen.
Das ist vielleicht noch als Kritik an der Regierung Ariel Sharons zu verstehen, aber doch nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen. Man braucht sich gar nicht auf die Seite Palästinas zu stellen, um die Methoden des Militaristen Scharon schlichtweg unakzeptabel zu finden. […] TIM ARETZ, Ilmenau