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■ Ein geräuschvoller Abend mit dem gemeinen Schlagervolk beim Wahren Grand PrixBallermannverwirrung und Rübe ab per Kamera

Irgendwie war's schon sehr aufregend: Zum fünftenmal „Der Wahre Grand Prix“ für „Neue deutsche Schlager“, diesmal ausgetragen im Münchner Kunstpark Ost, 1.500 Besucher, zwölf Darbietungen, präsentiert von Rex Kildo und Petra Perle, aufgezeichnet vom ZDF, und an einem Extra- Stand gab es zum Jubiläumspreis von nur noch 35 Mark die CD zur Veranstaltung käuflich zu erwerben. Was sich für die große weite Welt hielt, war in das „Colosseum“ gekommen – um sich effektvoll auf einem der reservierten Plätze niederzulassen, Begrüßungsdrinks zu schlürfen und sich gegenseitig durch wichtige Minen die Wichtigkeit der Person zu versichern. Weiter hinten: das gemeine Schlagervolk. Es wollte Brot und Spiele.

Keine bekennenden Schlagerfans: „Also, ich bin eigentlich nur hier, weil's totale Scheiße ist“, erzählt Thomas, und ein anderer Thomas erklärt mir diese Haltung wenig später: „Man kommt hierher in einer Gruppe, um sich gemeinsam über die Typen lustig zu machen, die das alles total ernst nehmen.“

Das Problem dabei: Im Laufe der fünf Jahre „Wahrer Grand Prix“ haben die Lustigmacher allmählich die Ernstnehmer verdrängt, vor der Bühne und auf der Bühne. „Früher war's lustiger“, ist der allgemeine Tenor, und darauf trinken wir doch noch ein Bier für Siebenfuffzig. Dabei ist eine Menge geboten für 40 Mark Eintritt: Mit einer raffinierten, auf einem Schwenkkran montierten und ferngesteuerten Rübe-ab-Kamera saust das ZDF haarscharf über die Köpfe des begeisterten Publikums. Und das Publikum ist natürlich immer dann begeistert, wenn das Gerät über es hinwegbraust. Ist aber auch unwiderstehlich, so ein Ding und der Drang, der Familie vor den Bildschirmen zuzuwinken.

Bei diesem perfekten Entertainment trat das, was auf der Bühne geschah, zunehmend in den Hintergrund. Von dem sympathischen Moderatorenduo Rex & Petra waren nur Lippenbewegungen zu erahnen. Die Musik war eh Nebensache. Und so traten sie an und ab, euphorisch beklatscht allesamt: Roy Luna, Das 7. Wirtschaftswunder, Cliff & Rexonah („Das ganz große Glück im Zug nach Osnabrück“), Mary Melody, Menschen in römisch-soldatischen Röckchen mit Namen „Vulcano“, der Italo- Carpendale Jonny Gold („Adio“), das Duo Rotblond, Mônd Naumann („Mach die Tür zu, Baby“), Hilde Card, Franco Weiß und Betty Jost. Bei der Punktevergabe kam es fast zum Eklat, als der Juror und vom frenetischen Publikum als „Meister“ verehrte Guildo Horn mit Mônd Naumann demjenigen die meisten Punkte gab, der als einziger eine völlig eigenständige Nummer präsentiert hatte. Aber verdammt, wer hat gewonnen?

Unmöglich zu erfahren – Petra und Rex sind nicht mehr zu verstehen. Nur zehn Meter trennen uns voneinander. Die beiden sprechen in ein Mikrofon. Zahlreiche Lautsprecherboxen verbreiten ihre Botschaft im ganzen Saal. Aber der kocht. In der allgemeinen Ballermannverwirrung ist doch tatsächlich der Name des Siegers verlorengegangen. Eine kurze Rücksprache mit einer Kollegin von einem „monatlich erscheinenden Frauenmagazin“ bringt auch keine Aufklärung. Sie sagt, sie will die Namen der Sieger aus der Tagespresse (also von mir!) abschreiben.

Na gut, liebe Kollegin, für Sie sei hier vermerkt, was sich später erst herausstellte: Cliff & Rexonah haben gewonnen. Jedenfalls ist dieses „sauberste Duo Deutschlands“ noch mal auf die Bühne gekommen und hat sein Lied gesungen – sicheres Zeichen für den Sieg bei einer Schlagerveranstaltung, wenn mich nicht alles täuscht. Beim anschließenden „Pressetreff“ war das Schlager-Traumpaar leider nicht aufzufinden, also kann ich nur vom Hörensagen berichten, daß sie ob ihres Sieges „total glücklich“ und „völlig aus dem Häuschen“ waren. Aus allerallererster Hand weiß ich und ist es meine journalistische Pflicht, hier niederzuschreiben, daß ein gewisser junger Mann von der zweitplazierten Gruppe Vulcano gerne „ernsthaft in den Schlager einsteigen“ würde und sich „letztes Jahr schon mal beworben“ hat. Stefan Kuzmany

P.S.: Und für alle, die den „Wahren Grand Prix“ gestern in der Glotze verpaßt haben: Wiederholung am 19. Mai, 13.55 Uhr auf 3sat

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