Ein einziger Vierzeiler zuviel

■ Der von den Nazis verehrte Schriftsteller August Hinrichs soll runter von der Oldenburger Ehrenbürgerliste / Einer, der das seit 30 Jahren fordert, hat bei dem ganzen Verfahren nichts zu sagen

August Hinrichs soll von der Liste der Oldenburger Ehrenbürger gestrichen werden. Das hat die PDS/OLLi-Fraktion im Stadtrat beantragt, am Dienstag wird darüber entschieden. August Hinrichs ist in Oldenburg eine wichtige Figur: Straßen und Plätze, gar ein Mundart-Theater sind nach ihm benannt. Der Mann war Schriftsteller. Er schrieb niederdeutsch, seine Stücke werden heute vielfach aufgeführt, unter anderem vom Hamburger Ohnsorg-Theater. Hinrichs war aber auch Leiter der Reichsschrifttumskammer im Gau Weser-Ems und wurde verehrt als einer, der die NS-Ideologie in ihrem Innersten verstand. 1944 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt an der Hunte ernannt.

Einer hat ihn besonders auf dem Kieker: Klaus Dede. „Sie müssen wissen: Ich bin hier in Oldenburg der Jude.“ Klaus Dede ist kein Jude und auch kein Christ – er ist der Paria, der Outlaw, das schreckliche Kind: „Niemand redet hier mit mir.“ Denn „ich benehme mich natürlich daneben.“ Sagt es und zeigt einen Brief an den Oldenburger Oberbürgermeister Jürgen Poeschel (CDU), in dem er darlegt, dass – sollte Hinrichs auf der Liste der Ehrenbürger bleiben – auch Adolf Hitler wieder Ehrenbürger der Stadt wäre: der Stadtrat hatte Hitler 1948 von seiner Ehrenliste verbannt. Den Brief hat Klaus Dede nicht abgeschickt. Auf Anraten eines Freundes. „Da können die Leute nur bockig werden“, habe der gesagt.

Dedes Kampf gegen die Bockigkeit der Oldenburger dauert bald 30 Jahre. Damals hat Dede seine Arbeit als Journalist aufgegeben. Zuvor hat er bei „Bild“, als Bonn-Korrespondent für eine Agentur und schließlich als Lokaljournalist gearbeitet. Er habe den „moralischen Stress“ nicht mehr ausgehalten: „Auf lokaler Ebene ist Pressefreiheit ein Witz.“

Seither ist er Schriftsteller. Schrieb 374 Seiten über das deutsche Nationalbewusstsein, 492 Seiten zum Thema „Deutschnational, christlich – antisemitisch“, rund 1.000 Seiten über die Geschichte der Onanie, eine Doktorarbeit über die Guttempler. Und immer wieder über August Hinrichs. Schon vor zehn Jahren tobte in Oldenburg die Debatte darum, ob August Hinrichs des Ehrenbürgers würdig sei. Damals war Dede der Motor. Seine These, damals wie heute: „Jede Gruppe braucht einen emotionalen Konsens – und dieser ist in unserem Falle die christlich-deutschnationale und damit antisemitische Ideologie.“ In der Person Hinrichs sieht Dede die Bestätigung: „Hitler wurde zu dem Symbol, unter dem sich alle zeitweilig einigten; auch Hinrichs stieß dann zu dem großen Haufen, als ihm das opportun zu sein schien. Mit anderen Worten: Hinrichs war völkisch aus Überzeugung, Nazi aus Niedertracht und Gewinnstreben.“ Vor zehn Jahren konnte Dede die DKP überzeugen, im Rat Hinrichs' Entwürdigung zu beantragen. Der Rat lehnte ab. Dede wurde nicht einmal angehört.

Jetzt hat die PDS-Fraktion den gleichen Antrag noch einmal gestellt. Die Erkenntnisse über August Hinrichs sind fast unverändert. Fast. Inzwischen ist nämlich ein Vierzeiler aufgetaucht, ein Loblied auf den Führer: Unverlöschbar nur dauert, wer seinen Namen durch übermenschliche Tat mitten hinein schrieb ins lebendig aufglühende Herz seines Volkes. Dort lebt er und leuchtet durch alle Zeiten. Enthalten ist der Vers in einem „Tornisterbuch“ der Wehrmacht, noch ist nicht ganz geklärt, ob Hinrichs der Verfasser ist. Aber wenn er es denn wäre, sei das Anlass genug, „die Frage der Ehrenbürgerschaft noch einmal in allen Fraktionen zu diskutieren“, so die PDS/OLLi-Fraktion. Die anderen Fraktionen im Rat sehen das genauso. Aber Klaus Dede wollen sie dennoch nicht anhören.

Der sitzt derweil in seinem Reihenhaus am Stadtrand, schaut ins Grüne und sinniert: „Wenn ich irgendetwas sage, wird wie ein Reflex das Gegenteil gemacht.“ Deshalb sei's „taktisch zu verstehen“, dass diesmal noch nichtmal die PDS mit ihm Kontakt aufgenommen habe.

Klaus Dede. Ewiger Unruhestifter. Als Klaus Dede sieben Jahre alt ist, stirbt sein Vater - „die Katastrophe meines Lebens“. Der Vater war Pastor. Der Sohn hätte auch Pastor werden sollen. Wird er aber nicht. Das Christentum prägt Klaus Dede dennoch, bis heute – wenn auch längst durch Ablehnung statt Zugehörigkeit, siehe seine zentrale These vom nationalchristlichen Konsens. „Endlose Papiere“ habe er verfasst, das zu begründen, wieder und wieder. Einen Verleger fand er nie, und er weiß auch warum: Seine These berühre „das Tabu dieser Republik“. Und weil man „denjenigen, der es verletzt, nicht erschlagen kann, muss man ihn mundtot machen.“ Gut, 1.000 Seiten seien eine Menge – „das liest kein Mensch.“ Schweigen. Dann: „Das ist schlicht und einfach Unsinn, was ich da mache.“

Und trotzdem kann er nicht anders. Soziale Ächtung, erzählt er, kenne er von Kindheit an – „wir waren sehr arm.“ Dass sie ihm nichts ausmachte, kann er nicht behaupten. „Wenn meine Frau nicht gewesen wäre, wäre ich zugrunde gegangen.“

Jetzt ist Klaus Dede 66 und Rentner. Seither nehme er die Dinge gelassener. Er hat es hinter sich. Und dennoch – sie hätten ihn ruhig mal anhören können, die Herren und Frauen im Rat. Haben sie aber nicht.

Stattdessen haben sie sich jetzt darauf verständigt, die Angelegenheit dem Kulturausschuss zu übergeben. Das muss der Rat am Dienstag noch abnicken, dann geht die Sache in die nächste Runde. „Ins goldene Buch würde man so jemanden heute sicherlich nicht aufnehmen“, sagt FDP-Ratsherr Hans- Richard-Schwartz. Aber zur Streichung bedürfe es breiter Diskussionen zwecks einer „breit abgesicherten Entscheidung.“ Ähnlich äußert sich seine CDU-Kollegin Waltraut Scheibert, und SPD–Bürgermeister Alfred Nehring – die Nummer Zwei hinter CDU–Oberbürgermeister Jürgen Poeschel – sagt auch: „Solche Sachen gehören in die Öffentlichkeit.“ Eine Ergebenheitsadresse an Adolf Hitler sei durchaus Anlass, neu zu bestimmen, „wie wir uns verhalten wollen“. Gleichwohl, sagt Nehring und klingt säuerlich, könne man in dem ganzen Vorgang sehr wohl eine Instrumentalisierung durch die PDS erkennen. Schließlich sind im September Kommunalwahlen.

Hinrichs' Zeit als Ehrenbürger sei abgelaufen, finden die Oldenburger Grünen. Dass angesichts eines umfangreichen Werks ein popliger Vierzeiler dazu ausreicht, sei zu sehen wie der Tropfen und das dann überlaufende Fass, sagt die Zweite Bürgermeisterin Hildtrud Neidhardt von den Grünen. Laut Neidhardt haben die Grünen vor dem Prozess der Hinrichs-Entwürdigung noch mit Klaus Dede gesprochen und dann beschlossen: „Wir wollen uns dem Thema wieder widmen.“ Dede sei, erzählt Neidhardt, „eine sehr interessante, aber sehr schwierige Persönlichkeit“, unbestritten ein Mann von „großen Verdiensten.“ So war es Dede, der einst in Oldenburg den alljährlichen Gedächtnisgang in Erinnerung an den 9. November 1939 initiiert hat. Es sei nicht korrekt, ihn derart auszubooten, „aber aus Sicht der anderen kann ich es verstehen.“

Klaus Dede habe mit dem, was er zu August Hinrichs sagt, eigentlich Recht, sagt einer, der die Stadt gut kennt. Aber: „Das politische Vorhaben muss sich von Dede distanzieren, damit es Erfolg hat.“

Susanne Gieffers