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Ein bloßes Anhängsel Israels

Die wirtschaftlichen Chancen Palästinas nach dem Gaza-Jericho-Abkommen Entwicklung nur zum Nutzen der ausländischen Investoren?  ■ Von Nabil S. Handal

Jerusalem (taz) – Drei Monate nach der Unterzeichnung des Teilautonomieabkommens zwischen der PLO und Israel könnte der Eindruck entstehen daß die wirtschaftlichen Probleme der Palästinenser schon geregelt werden. Jeden Tag berichtet die Presse über neue Zusagen internationaler Geberländer und -organisationen, die technische und finanzielle Hilfe für die besetzten Gebiete versprechen. Letzte Woche verabschiedete die Europäischen Union ihren Haushalt. Er sieht beispielsweise 95 Millionen Mark an Finanzhilfen für die Palästinenser vor. Insgesamt 975 Millionen Mark haben die Geberländer dem neuen palästinensischen Wirtschaftsrat für 1994 versprochen, wie letzten Freitag nach der ersten Sitzung der Konsultativgruppe für die Entwicklung der besetzten Gebiete bekanntgegeben wurde. Neue Gremien werden eingerichtet, Expertengruppen schwärmen aus, und zahlreiche neue Machbarkeitsstudien über die Infrastrukturentwicklung werden erstellt.

Vor Ort stellt sich die Situation jedoch ganz anders dar. Die israelischen Behörden setzen ihre Belagerung der Westbank und des Gaza-Streifens fort. Sie stellen damit die Palästinenser vor wachsende wirtschaftliche Schwierigkeiten, die schließlich die Ressourcen des Landes schwächen werden. Aber die bisherigen wirtschaftlichen Vorbereitungen auf die Teilautonomie tragen dieser Tatsache kaum Rechnung. Dabei wissen auch die Geberländer sehr gut, daß keine Entwicklungsstrategie in dieser Region erfolgreich sein kann, wenn sie nicht berücksichtigt, daß die palästinensische Volkswirtschaft durch die israelische Besetzung zerstört worden ist.

Mit Zuckerbrot und Peitsche zum Frieden?

Wirtschaftliche Entwicklung beruht auf dem Grundsatz, daß heimische Ressourcen – finanzielle, technische, landwirtschaftliche und personelle – genutzt werden. Daher wäre es nur folgerichtig, wenn die Geberländer sich bemühten, wenigstens einige dieser Ressourcen zu erhalten, bevor sie bereit sind, zusätzliche Mittel zu investieren.

Doch das geschieht bislang nicht. Im Gegenteil: In den letzten fünf Jahren, seit dem Beginn der Intifada, wurden sich Israel und die USA klar darüber, daß ein Friedensabkommen (nach den israelisch-amerikanischen Kriterien für einen Nahost-Frieden) nur durch eine Doppelstrategie erreichbar sein werde: auf der einen Seite wirtschaftlicher Druck auf die Palästinenser und auf der anderen Seite großartige Versprechungen über die wirtschaftlichen Chancen, die sich aus dem Frieden im Nahen Osten ergeben würden.

In den letzten Monaten verlor fast jede palästinensische Familie einen wesentlichen Teil ihres Einkommens aufgrund der fortdauernden militärischen Belagerung der Westbank und des Gaza-Streifens. Das hat zu einem Bewußtseinswandel geführt: Die meisten Palästinenser kümmern sich vor allem um das individuelle Überleben und weniger um nationale Ziele. Da die wirtschaftlichen Versprechungen entscheidend für die Unterstützung des Teilautonomieabkommens waren, sind ökonomische Fragen jetzt Hauptbestandteil der Verhandlungen um einen Nahost-Frieden.

Keine Kontrolle über die eigenen Ressourcen

Für die Mehrheit der Palästinenser entspricht schon die Grundsatzerklärung über die Teilautonomie nicht den drei nationalen Zielen, für die sie so viele Jahre gekämpft haben: nationale Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Rückkehr der Flüchtlinge. Und anders, als es jetzt viele erhoffen, wird ihnen das Gaza-Jericho-Abkommen auch keine unabhängige Volkswirtschaft bringen. Im besten Fall wird das Einkommen wachsen, da mehr und besser bezahlte Arbeitsplätze zu erwarten sind. Eine durchschnittliche palästinensische Familie wird damit eher die Chance auf ein anständiges Haus, bessere Gebrauchsgüter sowie verbesserte Transport- und Erholungsmöglichkeiten haben.

Ohne eine Kontrolle über die eigenen Ressourcen wird ein Staat jedoch keine unabhängige Wirtschaft aufbauen können. Eine Analyse des derzeitigen Entwurfs des Gaza-Jericho-Abkommens ergibt jedoch erstens, daß die vorgeschlagene palästinensische Selbstverwaltung keine Gesetzgebungskompetenz im wirtschaftlichen Bereich vorsieht. Zweitens will Israel auch weiterhin die Grenzübergänge in die Nachbarländer Jordanien und Ägypten kontrollieren. Drittens soll die palästinensische Regierung ihre Wirtschaftspolitik auf denselben Grundsätzen wie in Israel aufbauen. Viertens sollen die palästinensischen Banken unter der Kontrolle der israelischen Zentralbank bleiben und israelischen Vorschriften folgen. Fünftens soll keine Beschränkung israelischer Investitionen und sonstiger Wirtschaftstätigkeit in den besetzten Gebieten erlaubt sein. Diese und noch einige andere Schwächen des Abkommens dürften garantieren, daß die palästinensische Wirtschaft auch künftig von Israel abhängig bleibt.

Israel will regionale Wirtschaftsmacht werden

Die Israelis haben schon immer von einem Nahen Osten geträumt, der ihren wirtschaftlichen Interessen entspricht. Doch wegen des arabischen Boykotts konnte Israel in den vergangenen 45 Jahren seine Wirtschaft nicht so weit ausbauen, daß es dadurch seine riesigen Rüstungsausgaben hätte decken können. Die großen benachbarten Absatzmärkte waren verschlossen, zugleich war und ist die israelische Industrie auf den Märkten Europas und der USA kaum konkurrenzfähig. Daher blieb der industrielle Sektor klein und ausländische Investitionen begrenzt. Das Land blieb von der Hilfe aus dem Ausland abhängig. Dadurch jedoch war es auch immer äußerem Druck und der Einmischung anderer Länder ausgesetzt.

Das Abkommen mit der PLO soll die Grundlage für einen Wirtschaftsaufschwung sein. Israel kann nun langsam darangehen, neue Märkte zu erschließen, bis hin nach Afrika und in die boomenden Länder Ostasiens. Durch die verbesserten Absatzchancen werden Investitionen rentabler, dadurch steigen die Gewinne, was wiederum Kapital anlocken wird – so die Hoffnung der Israelis.

Schafft Israel es, die Absatzmärkte im Nahen Osten zu erschließen, dann kann es seinen technologischen Vorsprung ausnutzen. Der letzte Schritt ist dann, ausländisches Kapital, insbesondere aus den Golfstaaten, für Investitionen in die israelische Wirtschaft zu gewinnen.

In diesen Plänen zählen die besetzten Gebiete nur als Standort für arbeitsintensive Industrien, als Absatzmarkt für einfache Waren, als Reservoir für billige Arbeitskräfte und als idealer Kanal für den Export israelischer Waren in andere arabische Länder. Somit wird die palästinensische Wirtschaft ein Anhängsel Israels sein, das ihm helfen soll, eine regionale Wirtschaftsmacht zu werden.

Entwicklungshilfe von unten ist nicht geplant

Die derzeitigen internationalen Pläne für die Entwicklung der palästinensischen Wirtschaft unterstützen eher die ökonomischen Ziele Israels. In den besetzten Gebieten soll die Infrastruktur in erster Linie so ausgebaut werden, daß sie für ausländische Investitionen geeignet ist, nicht für die Entwicklung der eigenen Wirtschaft.

Die Weltbank spielt dabei eine Schlüsselrolle, denn sie soll alle Gelder vermitteln und nicht etwa zweiseitige Abkommen zwischen Palästinensern und den einzelnen Geberländern. In der Übergangszeit wird die Weltbank daher einen außerordentlich starken Einluß auf die Wirtschaftspolitik Palästinas haben und sich beispielsweise in die Geld- und Finanzpolitik, in die Außenhandelsförderung, Besteuerung, Subventionen, Höhe der Zinsen und so weiter einmischen können. Sie wird die palästinensische Wirtschaft dahingehend entwickeln, daß sie den politischen und ökonomischen Interessen derjenigen Länder entspricht, die in der Weltbank das Sagen haben.

Wenn in fünf Jahren die endgültigen Vereinbarungen ausgehandelt werden, wird die Weltbank, bei der Palästina dann mit einigen Milliarden Dollar verschuldet sein wird, in der Lage sein, die Ergebnisse dieser Verhandlungen entscheidend mitzuformen.

Die Sache sähe anders aus, wenn die Palästinenser bilaterale Hilfsabkommen mit verschiedenen Geberländern schließen könnten. Sie würden dann mit einzelnen Gläubigern verhandeln, bei denen sie jeweils in geringerem Umfang verschuldet wären, und sie könnten separate Abmachungen mit einzelnen Gläubigern treffen. Überdies könnten die Palästinenser dann ihre eigenen Entwicklungsprioritäten mit geringerer Einmischung aus dem Ausland ausarbeiten. Dies betrifft vor allem Hilfe an der Basis für Kleinbauern und kleine Gewerbetreibende.

Die wirtschaftliche Lage in den besetzten Gebieten verschlimmert sich weiter. Doch Konzepte für eine Entwicklung von unten, mit denen den Menschen schnell geholfen werden könnte, liegen nicht vor. Daher ist es zumindest fraglich, ob die derzeitigen Planungen tatsächlich zum Nutzen der Palästinenser laufen oder ob die Entwicklung Palästinas nicht vielmehr nur ein vorgeschobener Grund ist, während andere die eigentlichen Nutznießer der Vereinbarungen sind. Den Palästinsern bliebe dann im Nahen Osten allein die Rolle der billigen Arbeitskräfte.

Nabil S. Handal arbeitet als Wirtschaftswissenschaftler für die palästinensische „Union of Agricultural Work Committees“ (UAWC), eine Organisation, die landwirtschaftliche Basisprojekte fördert. Innerhalb der PLO gehört Handal zum Flügel der Arafat-Kritiker

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