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„Ein bisschen folkloristisch“

Charlotte Engelkes und Gonzalo Cunill machen aus Strindbergs Fräulein Julie am Schauspielhaus ein leichtes Musical – fast  ■ Von Petra Schellen

„Das ist genauso, als ob man Carmen spielt! Und wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir ein anderes Stück ausgesucht!“ Charlotte Engelkes lacht, ist ernst, lacht – und weiß selbst nicht genau, wie sie meint, was sie über August Strindbergs Fräulein Julie sagt. Als Musical – „es wird leicht, ein bisschen folkloristisch, auf keinen Fall hip oder avantgardistisch“ – inszeniert sie das Stück jetzt im Malersaal. Sie will dem Drama die Tragik nehmen – ein Experiment, das „nicht ganz so aufging, wie ich es mir vorgestellt hatte“, sagt die in Stockholm geborene Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin, die am Schauspielhaus zuletzt in ihrem Soloprojekt Sweet zu sehen war. Denn wenn man sich dem naturalistischen Stück nähere, werde man unweigerlich vom Stück eingesogen – so lange, bis man gar nicht mehr anders könne, als den Text komplett zu spielen. „Wir haben nur ganz wenige Passagen entfernt“, sagt sie – ein atypisches Muster für Charlotte Engelkes, die sich „im Schauspielfach eigentlich noch fremd“ fühlt. „Ich bin es gewöhnt, eigene Texte zu schreiben und zu improvisieren“, sagt sie. Zusammen mit dem Argentinier Gonzalo Cunill verfremdet sie das Strindberg-Drama, das 1889 nach etlichen Schwierigkeiten in Kopenhagen uraufgeführt wurde und wegen seines Naturalismus als gefährlich galt.

Denn klar konzipierte Charaktere bietet das Stück nicht: Eine Mischung aus Umständen – der schwedischen Mittsommernacht, ihren eigenen Illusionen, ihrer Erziehung und ihres Biorhythmus – ist die Grafentochter Julie. Ihr Widerpart ist der Kammerdiener Jean, den sie in jener Nacht verführt – aber ganz genau weiß man nicht, was sie während eines kurzen Intermezzos in dessen Kammer tun. Tatsache ist aber, dass sich das Herr-Knecht-Verhältnis nach dieser Begnung diametral verkehrt. Kraftlos ist Julie im zweiten Teil des Stücks und weiß nicht mehr, wie sie der Situation entkommen soll. Schließlich bittet sie Jean, ihr den Selbstmord zu befehlen. Ein tragischer Ausgang – und obwohl Charlotte Engelkes dem Stück die Tragik nehmen wollte, „bin ich doch immer wieder an der Unbeweglichkeit der Figuren gescheitert. Im einzelnen sind die Charaktere dabei durchaus flexibel: Julie vereint viele Facetten und ist, wie Jean, fähig, sich jeder Situation anzupassen.“

Aber wenn es um die grundlegende Veränderung von Verhaltensmustern, auch von Standesdenken, von Befangenheit in einer sozialen Schicht geht, dann scheitern die Figuren auch bei Charlotte Engelkes – und zwar „bei mir extremer als im Original“. „Ich habe den Plot verdichtet und alles, was auf Gesellschaft, auf Äußerlichkeiten, auf die umgebenden Menschen, die Außenstehenden hindeutet, eliminiert und die beiden Liebenden in einen kargen Raum gestellt. Ein bisschen wie in Sartes Geschlossene Gesellschaft vielleicht. Was passiert vor und nach dem Sex, lautet eine zentrale Frage – und wie handeln die Personen, die nicht aus ihrer Haut können.“

Dabei geht es Charlotte Engelkes „nicht so sehr darum, das Stück als solches zu inszenieren. Mich hat vielmehr interessiert, wie ich mit dem für mich neuen Nachspielen eines vorgefertigten Textes umgehe.“ Deshalb hat sie auch kein vorgefertigtes Regiekonzept sondern nur „die musical-tauglichen Ingredients: Liebe, Hass, Mord“. Ob aber Julie, die „nur ein glückliches Leben will“, Facetten hat, von der Engelkes lernen kann? „Ach, ich habe während der Proben gesehen, was ich schon wusste. Etwa, dass sich der Mensch am schwersten verändert. Und doch versuchen die Protagonisten etwas zu ändern: Julie will Liebe, und Jean will sozialen Aufstieg. Aber muss Julie an dem One-Night-Stand zwangsläufig scheitern? „Ich hatte erwogen, sie stärker zu machen als im Original“, sagt Charlotte Engelkes. „Aber ich begann die Proben und sah, ich konnte nicht. Das Stück war einfach dagegen.“

Premiere: 26. Januar, 20 Uhr, Malersaal des Schauspielhauses

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