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■ Ein beliebtes Hobby unter alten Chinesen in New York:Die Kunst des Singvogelhaltens

New York (taz) – Die Ampel schaltet auf Rot. Durch den Riß im morgendlichen New Yorker Verkehrslärm dringen einen Moment lang Vogelstimmen. Der schallende Gesang kommt hell und klar aus dem winzigen Park an der Brooklyn-Bridge, bis sich die Mauer aus Lärm und Gestank wieder um das Eiland schließt.

Auf ihrer Verkehrsinsel scheinen Mr. Chin und acht weitere Chinesen das Getöse überhaupt nicht zu hören. Die Pensionäre aus Chinatown Manhattan sitzen wie gebannt auf ihren mitgebrachten Stühlchen und lauschen voller Rührung dem Morgenkonzert ihrer bräunlich gefiederten Hua Mei. Jeden Morgen zwischen acht und zehn Uhr treffen sie sich hier, denn die unscheinbaren Singvögel von der Größe eines Stars können nur in Gesellschaft ihrer versierten Artgenossen neue Melodien aufschnappen und ihr Repertoire ausbauen.

Die Kunst des Vogelhaltens sagt Mr. Chin, 59, sehr zu. „In drei Jahren“ meint er, „will ich in Pension gehen, dann brauche ich eine Ablenkung. Ein ruhiges Hobby wie dieses.“ Für ihn, einen chinesischen Prokuristen der Citybank, heißt das auch, ein Hobby abseits des American way of life. Wie der, der sich im Schneidersitz vor seinem Käfig niedergelassen hat, möchte er einfach „still sitzen und genießen“.

Zwischendurch erheben sich jedoch einige der Männer und eilen für ein paar Minuten davon. Sie kommen wieder mit zuckenden Plastiktüten voller lebender Grillen: der Leib- und Magenspeise der Hua Mei. Die Tierhandlung um die Ecke war es ursprünglich, die die Männer in den lärmigen zugemüllten Park zog. Der Laden verkaufte früher neben Hirse und Grillen auch Hua Mei. Jedoch seit dem Inkrafttreten der Artenschutzgesetze 1985 in USA werden die Vögel nur noch von den Liebhabern eingeführt und gehandelt. Die Preise für einen reiferen Sänger rangieren je nach Alter und Virtuosität zwischen 500 und 1.000 Dollar.

Als die Sangeslust ihrer Lieblinge fürs erste nachläßt, widmen sich die Herren der eigenen chinesischen Unterhaltung. Eine unüberwindbare Barriere für Nichtchinesen. In englisch angesprochen, ziehen sich die Herren, die alle um die 60 sind, halb schüchtern lächelnd, halb abrupt zurück: „No english“. Mr. Chin ist an diesem Morgen der einzige, der hier die Sprache seiner zweiten, der amerikanischen Heimat beherrscht: die anderen hätten, so Mr. Chin, bis zu 50 Jahre, fast ihr ganzes Leben, in Chinatown verbracht und es nie verlassen. Sie hätten als Köche in chinesischen Restaurants gearbeitet oder in den Sweatshops der Textilindustrie.

Abgeschnitten vom amerikanischen Alltag widmen sie sich nun an ihrem Lebensabend auf der Lower East Side ihren Vögeln und pflegen eine jahrtausendealte chinesische Tradition: Die Hua Mei und ihr Gesang sind nicht nur ein altes Thema chinesischer Dichter. Auch die Kaiser haben sich bei der Vogelpflege von den Strapazen des Herrschens erholt.

Plötzlich brechen die Lieblinge ein zweites Mal in Jubel aus. Es ist, als ob sie auf die quietschenden Bremsen eines Trucks an der Ampel antworten. Die Alten verstummen wieder. Sie besehen sich ihre wohlbekannten, prachtvollen Käfige. Sie haben sie inzwischen entweder an die Baumstämme gehängt oder an die Drahtseile, die an den Platanen im Park festgemacht sind. So kommen sie besser zur Geltung: Blumenornamente verzieren deren Unterseite, im Gitter klemmen geschnitzte Holzdämonen und das chinesische Schriftzeichen für langes Leben. Ein Leben auf der Grenze von Chinatwon zum Rest von Amerika. Stefan Matzig

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