piwik no script img

■ „Ein abgekartetes Spiel“: Das ist einen Tag nach der Anklageerhebung gegen Milosevic Tenor aller Stellungnahmen in Rußland und Jugoslawien. Tschernomyrdins Vermittlerrolle wird fragwürdiger, Clinton wird die Option auf Bodentruppen neu aufgedrängtEin Schlag gegen die Diplomatie

Im amerikanischen Senat muß man es schon vorher gewußt haben. Obwohl das Weiße Haus erst am 25. Mai von der bevorstehenden Anklage des Internationalen Kriegsverbrechertribunals gegen Slobodan Miloevic unterrichtet wurde, brachten am Tag zuvor zwei Senatoren eine Resolution ein, die zusätzliche Mittel für das Gericht in Den Haag fordert. Sie mahnte weiter die Regierung Clinton, keinen Frieden zu schließen, der Miloevic in irgendeiner Form Immunität gewähren würde.

Nach außen hin sind in den USA denn auch alle Äußerungen zur Anklage von Miloevic positiv. Clinton, der gerade in Florida Urlaub macht, trat vor das Tor der Ferienanlage, um ein kurzes Statement vorzulesen: „Diese Anklage wird den Opfern der Belgrader Massaker im Kosovo eine Genugtuung sein und von künftigen Kriegsverbrechen abschrecken, denn die potentiellen Täter wissen, daß sie mit Strafverfolgung zu rechnen haben.“ Bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem kanadischen Außenminister Lloyd Axworthy sagte Außenministerin Madeleine Albright, daß die Anklage das Vorgehen der Nato bestätige und zur weiteren Isolierung Miloevic' beitragen werde. Bestätigt fühlt sich auch Jesse Helms, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des Senats, der schon im März das „serbische Demokratisierungsgesetz“ eingebracht hatte. Es soll sicherstellen, daß die Entfernung Miloevic' Voraussetzung für einen Frieden auf dem Balkan sein sollte. „Miloevic hätte schon längst als Kriegsverbrecher angeklagt werden sollen“, sagte Jesse Helms – das ist übrigens jener Jesse Helms, der den amerikanischen Beitritt zur Internationalen Konvention gegen Kriegsverbrechern hintertrieben hatte.

Die Anklage Miloevic' wirft nun ebendiese Frage auf: Welche Rolle kann Miloevic bei einer Friedenslösung auf dem Balkan noch spielen, welche Bedeutung kommt der Diplomatie dabei überhaupt noch zu? Der Sprecher des State Departments, James Rubin, betonte in einer morgendlichen Pressekonferenz, daß auch weiterhin ein Draht nach Belgrad bestehe. Doch die New York Times zitiert ungenannte Regierungsbeamte, für die die Anklage eine Verhandlungslösung erschwert. Sie wirft erneut die Frage nach der Notwendigkeit von Bodentruppen auf, die Clinton so gerne vermieden hätte.

Joseph Biden, Fraktionsvorsitzender der Demokraten im Repräsentantenhaus, der Miloevic 1993 getroffen und ihm ins Gesicht gesagt hat, er sei ein Kriegsverbrecher, rief denn auch nach Bekanntwerden der Anklage Clinton in seinem Urlaubsort an und empfahl ihm, weitere Truppen in den Balkan zu verlegen.

Zur Zeit gibt es im Weißen Haus zwei Szenarien. Das eine geht von einem Zusammenbruch der diplomatischen Bemühungen durch die Anklage Miloevic' aus, was Clintons Pläne gründlich durcheinanderbringen würde. Erschwerend kommt beim Versuch einer diplomatischen Lösung noch die Anklage gegen Miloevic' rechte Hand, Milan Milutinovic, hinzu, der allenfalls an die Stelle Miloevic' als Verhandlungspartner der Nato hätte treten können.

Die andere Variante unterstellt, daß die Anklage vor dem Haager Tribunal den serbischen Machthaber nicht nur international, sondern auch im eigenen Land weiter isolieren werde.

Im Weißen Haus denkt man auch über die Rolle der Familie Karic nach, die in Kanada sitzt, aber in Jugoslawien ein Finanz- und Wirtschaftsimperium hat. Dragomir und Boguljub Karic dienten wiederholt als inoffizielle Kontaktmänner zu Miloevic. Mit Verweis auf das Nürnberger Tribunal, vor dem deutsche Wirtschaftsbosse zusammen mit Partei- und Staatsführung Nazi-Deutschlands angeklagt waren, könnten sie davon überzeugt werden, sich von Miloevic abzuwenden und ihm damit das wirtschaftliche Fundament seiner Herrschaft zu entziehen. Peter Tautfest, Washington

„Diese Anklage wird den Opfern Genugtuung sein und von künftigen Kriegsverbrechen abschrecken“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen