: Ein Zufallssieg
■ Der HSV gewinnt das erste Heimspiel per Eigentor Von Rainer Schäfer
Noch lange nach dem Abpfiff stand ein kleiner, dicker Mann in einem Kranz von Fans, die ihn unaufhörlich herzten und auf die Schulter patschten, als ob er den entscheidenden Treffer erzielt hätte. Wenige Schritte von Uwe Seeler entfernt versuchte der zerknitterte Kaiserslauterner Martin Wagner schuldbewußt die spielentscheidende Szene zu schildern. „Ich muß mich bei meiner Mannschaft entschuldigen“, stammelte der Unglückliche. Was war geschehen? Nach sieben Minuten köpfelte Wagner einen Eckball des HSV-Youngsters Francisco Copado ins eigene Netz. 1:0 lautete das im Volksparkstadion euphorisch angenommene Endergebnis, der erste Heimsieg für die vormals leidgeplagten Hamburger, die sich nach zwei Siegen im Bundesliga-Mittelmaß einrichten dürfen.
Angefangen hatte der HSV wie immer: „Stürmer“ Valdas Ivanauskas stand nach fünf Minuten unbedrängt vor dem Kaiserslauterner Keeper Andreas Reinke und zielte unmotiviert daneben. Yordan Letch- kov, das von Interims-Trainer Felix Magath reanimierte Gehirn des HSV-Spiels, dribbelte meist ohne Effekt um die eigene Achse, um den tödlichen Paß zu spielen, wenn es viel zu spät war. Bekannte Szenen auf dem Rasen, die unter Magath-Vorgänger Benno Möhlmann schrille Unmutsfestivals und wüstes Trainer-raus-Gebrülle gezeitigt hatten.
In diesem Herbst ist alles anders. „Uwee-Seeler, Uwee-Seeler“, hallte es freundlich-optimistisch durch das sterile Volksparkstadion. Einen besseren Fußball spielt der HSV deswegen noch lange nicht. Dabei sollte unter Felix Magath alles anders werden. Nicht Fußball bolzen, wie in der Ära Möhlmann, sondern mit strategischen Mechanismen wollte der passionierte Schachspieler Magath seine Eleven auf dem Rasen zum Erfolgserlebnis führen. Das Resultat dieser taktischen Übungen war freilich selten zu bewundern: Wenige formidable Schachzüge glückten in einem insgesamt unansehnlichen „Königsspiel“.
„Unser Treffer fiel viel zu früh, ich hätte nicht gedacht, daß wir die Führung 83 Minuten lang über die Zeit retten können“, räsonierte abschließend Magath. Der durfte sich bei seiner Defensivabteilung, vor allem bei Torhüter Richard Golz bedanken, daß man das erste Mal auf heimischem Terrain drei Punkte einfahren konnte. Bis zum Abpfiff mußten die Platzherren zittern, Martin Wagner vermochte nach einer Stunde selbst das leere Tor nicht zu treffen. Die Pfälzer diktierten im zweiten Durchgang das konfuse Geschehen, während der HSV zwar die klareren Torchancen, aber wieder einmal eine erschreckend schwache Offensivabteilung benannt hatte. „Um im Fußball erfolgreich zu sein, muß man Tore machen“, flüchtete sich Kaiserslauterns Trainer Friedel Rausch ins Banale. Dort hatte sich längst Uwe Seeler eingerichtet. „Ich sag mal, heute zählt nur der Sieg“, schwadronierte der Dicke. Und: „Ich sag mal, ich bin froh, daß wir heute gewonnen haben.“ Wenn rotbackig-hemdsärmlige Biederkeit das entscheidende Kriterium für Erfolg ist, wird man ihm glauben müssen.
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