: Ein „Wir“, das raunt
■ Elfriede Jelineks „Wolken. Heim.“ als Theatermonolog in Koblenz
Unvereinbares läßt Elfriede Jelinek in einer polemischen Textcollage aufeinanderprallen: Textfetzen aus RAF-Briefen, geschrieben Mitte der siebziger Jahre; Auszüge aus Heideggers Freiburger Rektoratsrede; Texte von Hegel, Fichte, Kleist und — Hölderlin. Das meiste stammt aus dessen nachträglich so genannten „Vaterländischen Gesängen“, und diese Zitate machen deutlich, um was es Elfriede Jelinek geht: „Uns ist gegeben, an keiner Stätte zu ruhn“, heißt es bei Hölderlin.
Seinem Gefühl von „Vaterland“ war kein Ort gegeben, und als er zusammen mit Hegel und Schelling im Tübinger Stift republikanisch träumte, war das kein völkisches Gespinst. Elfiede Jelinek weiß das und verwendet die Zitate als sich gegenseitig erhellende Teile eines dialektischen Vexierspiels. Permanent wird ein Wir-Gefühl beschworen, das sich jedoch nicht einstellen kann — zu hoffnungslos raunt es immer nur, das „Wir“.
Jelineks Text war bereits aktuell, als er 1988 in Bonn auf die Bühne kam. Das Dilemma der Deutschen, ihr Schwanken zwischen republikanischem Nationalgefühl und nationalistischer Wir-Hysterie ist immer ein Thema. Die deutsch-deutsche Wirrnis nach dem Mauerfall machte den Text noch brisanter und so erschien er Anfang dieses Jahr im Göttinger Steidl-Verlag, just zu der Zeit, als die Möglichkeit einer deutschen Konförderation zweier souveräner Staaten gedankenlos unter die Räder des historischen Bananenzugs geriet.
Es wundert, daß Jelineks Wolken. Heim. in den letzten Monaten nicht häufiger auf den gesamtdeutschen Bühnen zu sehen war. Der Text braucht mehr denn je Inszenierungen, nachdem er jetzt in Koblenz bis zur Harmlosigkeit entstellt wurde. Die Regisseurin tat, was Jelineks Text am wenigsten verträgt: das Naheliegendste. Die Bühne ist eine Gartenzwergidylle und aus den Lautsprechern tönt Kein schöner Land. Und dann will Susanne Liebisch den Text sprechend strukturieren, müht sich, durch Sprechhaltungen und atmosphärische Umschwünge Kontraste zu erzeugen — aber die Geste ist immer aufgesetzt und wenn die Schauspielerin gar im angedeuteten Stechschritt geht, ist der Text überall, nur nicht auf der Koblenzer Bühne.
Theatermonologe sind schwer handzuhaben. Elfriede Jelineks Text ist für die Bühne brauchbar, wenn er dort sein kann, was er ist: Ein Sprechen, das sich zuerst einmal nur durch sich selbst konstituiert. Jürgen Berger
„Wolken. Heim." von Elfriede Jelinek. Regie und Bühne: Thirza Bruncken. Mit Susanne Liebisch. Theater der Stadt Koblenz. Weitere Aufführungen: 20., 23., 27.11. und 6.,7.,12.,14.,15.12.
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