: Ein Wasserkoch aus der DDR
VfB Stuttgart holt den 1. FC Köln von der Tabellenspitze / Florian Oertel (DDR) kommentierte im Radio ■ Aus Stuttgart Erwin Single
Der eigentliche Star des samstäglichen Fußballnachmittags im Stuttgarter Neckarstadion saß auf der Tribüne: Heinz Florian Oertel, seines Zeichens bekanntester Sportreporter aus Berlin, Hauptstadt der DDR. Der sorgte nämlich für eine Premiere, der neuesten in den deutsch-deutschen Beziehungen. Oertel durfte die Bundesliga-Spitzenbegegnung zwischen dem VfB Stuttgart und dem 1. FC Köln live für den ARD-Hörfunk kommentieren.
„Die Erwartungen haben die Wirklichkeit in gewisser Weise erdrückt“, befand Oertel. Gemeint war damit aber nicht seine Person, sondern der Kick auf dem hartgefrorenen Stuttgarter Rasen. Und auch die 33.200 ZuschauerInnen dürften zumindest eine Halbzeit lang mächtig gefroren haben, denn bei der biederen Fußballkost wollte zunächst keine Stimmung aufkommen. Selbst im Block A hatte es den treuesten Fans die Sprache verschlagen. Dabei mußte der amtierende Tabellenführer Köln im Neckarstadion antreten. Und auch die bisherige Bilanz beider Teams in dieser Saison ließ eine Schlagerbegegnung erwarten: es spielte schließlich die beste Heimmannschaft (Stuttgart) gegen die stärkste Auswärtsmannschaft (Köln).
Doch auf dem Spielfeld lief zunächst wenig zusammen. Die technisch versierteren Kölner, voran Thomas Häßler und Pierre Littbarski, warteten zwar mit einigen netten Kombinationen auf, aber zwingende Spielzüge kamen dabei nicht heraus. „Eine Mannschaft ist aus den Kölner Spielern noch nicht geworden“, lautete das Urteil Oertels. Die einzige Torchance in der ersten Spielhälfte hatten die Kölner, als Anders Giske aus 20 Metern abzog, aber an VfB -Torhüter Eike Immel scheiterte..
Stuttgart war keineswegs besser, im Gegenteil: da wurde der Ball planlos nach vorne gedroschen; ein Spielaufbau ließ sich nicht erkennen. Aber der Argentinier Basualdo soll ja zum ersten Mal auf Schneeboden gespielt haben, der zuletzt starke Isländer Sigurvinson ist verletzt und Maurizio Gaudino nach zweimonatiger Verletzungspause noch nicht voll dabei. Das Stuttgarter 1:0 zur Pause war überaus glücklich. Bereits in der zweiten Spielminute hatte Frank Greiner einen Ball von Frontzeck ins eigene Tor gelenkt. Der Kölner Unglücksrabe durfte sich dennoch freuen: die Dresdner Bank bedankte sich für das Eigentor mit einer Torprämie von 2.900 Mark.
In der Pause muß Arie Haan seinen Spielern wohl eine Standpauke gehalten haben, denn nach dem Seitenwechsel machte der VfB mehr Dampf. In der 67. Minute wurden die Schwaben für ihren Kampfgeist belohnt: mit einem sehenswerter Volleyschuß traf Fritz Walter das Kölner Tor, und die Stuttgarter Fußballfans durften endlich ihre weiß -roten Fähnchen schwingen. Als sechs Minuten später der gerade eingewechselte Manfred Kastl mit seinem ersten Ballkontakt zum 3:0 einschoß, war das Spiel gelaufen. Die Kölner hatten außer dem Ehrentreffer durch Sturm kurz vor Schluß nichts entgegenzusetzten, zu langsam, zu umständlich schoben sie die Bälle hin und her. Fazit: Auch in Köln „kocht man nur mit Wasser“ (Oertel).
Trainer Daum sah in der Kölner „Schönspielerei“ eine „eindrucksvolle Demonstration“: „nämlich, wie man es nicht machen soll“. Auch Arie Haan gab seine Meinung zum besten: „Wir wollten das Spiel gewinnen und haben es dann auch gwonnen.“ Wie einfach Fußball doch sein kann. Die Stuttgarter konnten nach drei Niederlagen gegen Bochum, Antwerpen und Karlsruhe den etwas angekratzen Haussegen aufpolieren. „Wenn man gegen die gewinnt“, meinte Gaudino bezogen auf den Tabellenführer Köln, „ist alles wieder in Ordnung.“
Der Chronistenpflicht halber bleibt nachzutragen, daß Oertels Einstand als Sportmoderator durchaus gelang: Er reihte sich nahtlos in die Runde seiner Kollegen ein. „Fußball“, so Oertel, „ist halt ein Spannungsfeld, das Millionen infiziert.“ Daß den 61jährigen dennoch einiges von seinen westdeutschen Kollegen unterscheidet, war in der „Leute„-Talksendung des SDR zu hören. Oertel, der sich schon in der Vergangenheit oft zu politischen Fragen zu Wort meldete, plädierte dort engagiert für einen Sozialismus in der DDR und sparte nicht mit Kritik an begangenen Fehlern, etwa in der Sportpolitik. Solche Töne sind von Sportreportern hierzulande kaum zu hören.
STUTTGART: Immel - Allgöwer - Schäfer, Nils Schmäler Buchwald, Jüptner, Basualdo, Gaudino (73. Kastl), Fronzek -Olaf Schmäler, (50. Rasmussen), Walter.
KÖLN: Illgner - Steiner - Higl, Giske - Häßler, Janßen (46. Ordenewitz), Littbarski, Rahn (78. Götz), Greiner - Sturm, Rudy.
TORE: 1:0 Greiner (2. Eigentor), 2:0 Walter (67.), 3:0 Kastl (73.), 3:1 Sturm (90.)
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