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■ Ein Wahlsieg der Linken würde große Probleme bereitenFrankreich vor der Wahl

Kann die Linke morgen gewinnen? Die Frage, die vor vier Wochen noch völlig abwegig schien, beantworten heute viele Franzosen mit ja: die Geheimdienste und Meinungsforscher, die sich allerdings regelmäßig irren; die Sozialisten, Kommunisten und Grünen, die seit ihrem guten Abschneiden am vergangenen Sonntag eine „neue Dynamik“ spüren; die Konservativen, die merken, daß ihre Politik „auf Unverständnis“ stößt; die Rechtsextremen, die hoffen, daß eine linke Regierung die Wähler ernüchtert und ihnen neue Gefolgsleute besorgen wird.

Sollte die Linke gewinnen, wäre der Weg offen für eine rot-rosa-grüne Regierung in Paris. Für diese historisch neue Konstellation hat die Bündnispolitik der Sozialisten gesorgt, die ihre Finger nach allen Seiten ausgestreckt und jeweils getrennt ein Abkommen mit den Grünen und eine Erklärung mit den Kommunisten unterzeichnet haben. Unter anderem steht in diesen Dokumenten, daß eine linke Regierung 700.000 Arbeitsplätze schaffen, die 35-Stunden-Woche einführen, die Renault-Schließung aufheben, das Atomprogramm stoppen, die Privatisierungen beenden und Europa „sozialer“ gestalten wird.

Das sind hehre Ziele – zumal für eine gespaltene Linke, die sich aus Reformern und Revolutionären, aus Umweltschützern und Fortschrittsapologeten, aus Eurogegnern und -anhängern zusammensetzt. Wie die Zusammenarbeit funktionieren soll, ist den Akteuren in Paris selbst ein Rätsel. Die internen Widersprüche sind gigantisch, würden aber nur einen kleinen Teil der großen Probleme einer linken Regierung ausmachen. Hinzu käme das Handicap einer Kohabitation mit einem mit weitgehenden außen- und militärpolitischen Vollmachten ausgestatteten konservativen Präsidenten, einem konservativ beherrschten Senat und konservativen Mehrheiten in fast allen Regionalvertretungen. Weiter müßte sie einen außenpolitischen Fahrplan verwalten, der längst in internationalen Verträgen festgelegt ist. Und schließlich hätte sie eine rechtsextreme Partei im Nacken, die stärker ist als je zuvor und nur auf das Chaos lauert.

Wenn die Linke in Paris gewinnt, wird ihre größte Herausforderung aber die eigene Basis sein. Die hat in den letzten Jahren mit großen sozialen Bewegungen und Streiks bewiesen, daß sie nicht bereit ist, weitere Rückschläge hinzunehmen. An ihren Erwartungen wird sich auch eine rot-rosa-grüne Regierung in Paris messen müssen. Dorothea Hahn

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