: Ein Stück Heimat
In Frankfurt (Oder) beschäftigt sich eine Ausstellung mit den Facetten des Mikrokosmos Schrebergärten
Aus Frankfurt (Oder) Andreas Hergeth
Wer den Zug von Berlin nimmt, fährt am Stadtrand von Frankfurt (Oder) an einer Kleingartenanlage vorbei, die scheinbar gar kein Ende findet. Mit rund 300 Parzellen gehört „Paulinenhof“ tatsächlich zu den größten Kleingartenanlagen der Stadt und ist eine der ältesten, 1947 gegründet. Wie früher üblich, entstand sie entlang einer Eisenbahnlinie – denn das war Land, das man damals für den Wohnungsbau nicht brauchte. Heutzutage sieht das anders aus. Bauland ist rar und Schrebergärten in Gefahr.
So gesehen, ist man mal bestens aufs Thema der neuen Ausstellung in der Rathaushalle von Frankfurt (Oder), neben Cottbus der zweite Standort des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst, eingestimmt. „Schrebergärten – Streifzüge durch einen Mikrokosmos“ wird am 25. Mai eröffnet. Zu sehen sind rund 140 Werke von 14 Künstler:innen aus verschiedenen Epochen, aus Ost- wie Westdeutschland.
„Kleingärten sind seit mehr als 200 Jahren ein fester Bestandteil der deutschen Kultur“, sagt Kuratorin Carmen Schliebe bei einem Presserundgang. Eine erste Kleingartenanlage entstand 1814 in Kappeln an der Schlei im Schleswig-Holsteinischen, es handelte sich um Armengärten. Und 1864 wurde in Leipzig die Schreberbewegung ins Leben gerufen. „Im Westen sagt man eher Kleingarten, im Osten öfter Schrebergarten“, führt Schliebe aus. Mit Schrebergärten ließen sich unterschiedliche Aspekte beleuchten. Sie dienen nicht nur als persönliche Rückzugsorte und Freizeitoasen – oft als spießig verspottet –, sie spiegeln auch gesellschaftliche Entwicklungen und kulturelle Wertesysteme wider.
Tanzvergnügen aller Art
Das lässt sich zum Beispiel gut an den schwarz-weißen Fotografien von Wolfgang Gregor ablesen, der das Treiben in der „Kleingartenanlage Wilhelmstrand“ im Ostberlin um 1980 festhielt. Da gibt es vor allem Festivitäten: Kaffeekränzchen, Tanzvergnügen aller Art oder ein Umzug (zum Kindertag?) durch die Kleingartenanlage – vorneweg ein paar Männer mit Fackeln und hinter ihnen vor allem Kinder mit Lampions. Da geht es aber auch um die Früchte der Arbeit im Garten, diente ein solcher zu DDR-Zeiten und der oft kritischen Versorgungslage doch auch der Eigenversorgung mit Obst und Gemüse: Eine Frau präsentiert stolz ihren geernteten Blumenkohl. Die Kleingartenanlage in Berlin-Oberschöneweide gibt es bis heute.
Viele Bilder dieser Serie wirken beiläufig aufgenommen, nur einige sind offenbar inszeniert. Die Kamera von Wolfgang Gregor, hier sozialdokumentarisch eingesetzt, bildet sozialistische Lebensfreude in einer staatlich geduldeten Nische ab, mit wachem, kritischem Blick.
Andere Künstler:innen wie Joachim Brohm geht es in ihren Serien (hier meist nur in Teilen ausgestellt) um vergleichendes Sehen. Im sachlichen Dokumentarstil erforscht er 2014 formale Elemente von Gärten und Lauben, von Wegen und Beeten im Ruhrgebiet, sozusagen den individuellen Erfindergeist und Gestaltungswillen der Pächter:innen. Da ist vor allem viel Strenge zu sehen. Die meisten Wege sind schnurgerade. Nun, das ist wohl typisch Spießbürgertum.
Das gilt wohl auch für den röhrenden Hirsch an einer Laubenwand und die Horde Gartenzwerge, den Helfried Strauß in einem Leipziger Garten fand. Er hat aber auch hier und da Ungewöhnliches, einen individuellen Touch entdeckt, eine goldene Buddha-Statue zum Beispiel.
Wie austauschbar moderne Gärten sein können, zeigt Pedro Citoler mit seinen Fotos aus Köln (2007), die er mittels Drohe von weit oben aufgenommen hat. Auf den ersten Blick ist klar: Irgendwie sieht alles gleich aus, Monotonie aller Orten, gut abgeschottet zu den Nachbarn. Und, im Gegensatz zu den Kleingärten im Osten, geht es hier nur noch um Erholung, es gibt Lauben, Liegen, Sonnenschirme, Rasen und Bäume zu sehen, aber kein bisschen Beet für irgendein Gemüse.
Auswechselbar sind auch die Gartenbesitzer:innen in den Aufnahmen von Frank Höhler, die 2015 in Eisenhüttenstadt für die Kamera posierten. Abwechslung kommt erst bei Emime Akbaba aus Hannover ins Spiel. Sie zeigt mit Bildern aus ihrer Serie „Ein Stück Heimat, 2011–2017“, dass es in deutschen Kleingartenanlagen längst international zugeht.
Akbaba hat türkische Wurzeln und lernte Schrebergärten erst kennen, als eine Cousine einen Garten pachtete. „Das ist doch typisch deutsch!“, dachte die Fotografin erst. Aber, na ja, und wohl auch typisch türkisch, wenn man die Fotos sieht: Da wird im Garten gebetet, gekocht, geschaukelt, Karten gespielt und vor allem Gemüse angebaut, dass man aus der Heimat kennt. Ja, auch der Gartenzwerg darf nicht fehlen. So ein Garten sei „eine Oase der Frauen“, sagt Kuratorin Schliebe zu den Fotos.
Fast märchenhaft kommen die Arbeiten von Erasmus Schröter daher, der eine spezielle Lichtästhetik entwickelt hat. Er hat verlassene, halb verfallene Gartenschuppen in der Nacht aufgenommen, mit viel Licht und Farbfolien vor Scheinwerfern. Das verfremdet und überhöht die klapprigen Holzbuden, das hat etwas von Theaterkulisse. Die Schuppen sind heute sicher längst verschwunden.
In Frankfurt (Oder), so erzählt Carmen Schliebe am Ende, würden immer mehr Schrebergärten aufgegeben oder ganz verschwinden, weil sie niemand mehr haben will. In Großstädten wie Berlin oder München dagegen sind freie Parzellen so gut wie nicht zu bekommen, die Wartelisten sind lang. Der Bedarf ist groß, immer mehr junge Leute wollen einen Garten haben, doch es kommen keine neuen Flächen für Kleingärten hinzu, eher verschwinden welche, weil Bauland für Wohnungen gebraucht wird. Mit dem Regionalexpress ist man von Berlin aus übrigens in gut einer Stunde in Frankfurt (Oder).
„Schrebergärten – Streifzüge durch einen Mikrokosmos“, bis 10. 8., Rathaushalle Frankfurt (Oder), Marktplatz 1, Di–So, 11–17 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen