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Archiv-Artikel

Ein Stein wird weich

Lou Yes Film „Summer Palace“ hätte nach Ansicht der chinesischen Behörden nicht in Cannes gezeigt werden dürfen. Doch chinesische Filmemacher berichten, dass es einfacher wird, sich mit einer zunehmend pragmatischen Zensur zu arrangieren

Wenn sie einen Film wie„Summer Palace“ akzeptierte, könnte sich die Zensurbehörde gleich selbst abschaffen

von SUSANNE MESSMER

Wer heute durch Chinas große Städte wandelt, dem wird sich nicht leicht erschließen, warum es hier noch so etwas braucht wie Filmzensur. Überall Internetcafés, wo Teenager Telefonsex anbieten, sich mit Computerspielen amüsieren, die im Westen verboten sind, und dabei mit den teuersten Handys spielen, die der Markt zu bieten hat. Vor den Cafés sammeln alte Leute Müll, um ihre Rente aufzubessern, und Kinder arbeiten für Bettlerringe. In China herrscht an jeder Ecke mehr Brutalität, als ein Splatterporno hervorzubringen imstande wäre. Man fragt sich, wo hier noch das „kollektive Bewusstsein“ stecken soll, für dessen „Herausbildung“ der kommunistische Film einst arbeiten sollte und zu dessen „Schutz“ die Zensurbehörde, das „Filmbüro“, wie es heißt, vor mehr als 50 Jahren eingerichtet wurde. Man ist rundweg ratlos, wenn immer noch, wie erst kürzlich wieder, heilige Empörung durch die westliche Presse weht, weil der chinesische Regisseur Lou Ye seinen neuen Film „Summer Palace“ nach Ansicht der chinesischen Behörden nicht in Cannes hätte zeigen dürfen. Nun droht ihm womöglich Berufsverbot.

Fragt man in Chinas Filmszene nur ein wenig herum, gewinnt man schnell den Eindruck, dass sich heute niemand mehr über die Zensur erbost, weil sie die Wahrheit beschneidet oder Gewalt, Sex und Kritik auf der Leinwand auch nur ansatzweise verbieten könnte. Heute ärgert man sich nur noch über die Zensur, wenn sie die Entwicklung der chinesischen Filmindustrie behindert. Wenn ein Film aus dem Westen verboten wird, ist man sogar belustigt. Ein Mitarbeiter eines Vertriebs für DVDs, der nicht mit seinem Namen genannt werden will, erzählt, „Mission Impossible III“ habe gekürzt werden müssen, weil Schanghai als Slum gezeigt werde, wo die Wäsche an Bambusspießen flattert. „The Da Vinci Code“ wurde angeblich abgesetzt, weil sich eine einflussreiche Lobby katholischer Chinesen beleidigt fühlte. Und „Der Fluch der Karibik 2“ hat es nicht geschafft, weil er Kannibalenszenen hat. „Anekdoten wie diese erzählen vor allem von Schadenfreude“, sagt er, „Schadenfreude darüber, dass Hollywood in China ökonomisch keinen Fuß in die Tür bekommt.“

Es ist also die allgegenwärtige Frage der Ökonomie, die sich in letzter Zeit der Zensurbehörde stellt. Die chinesische Filmindustrie kann sich nur entwickeln, wenn chinesische Filme auch in China gezeigt werden können. Wer seine Filme nur im Ausland produzieren und verleihen kann, der bringt kein Geld ins Land. Darüber herrscht anders als noch vor wenigen Jahren Einigkeit unter chinesischen Filmschaffenden – und es scheint, als habe das auch die chinesische Filmzensur verstanden. Wenn man heute Regisseure fragt, wie sie zur Zensur stehen, dann wird man nur noch selten hören, dass es ihnen egal sei, ob die eigenen Filme in China im Kino gezeigt werden oder ob sie nur auf raubkopierten DVDs zu sehen sind. Hatten sie noch vor wenigen Jahren berichtet, dass die Zensur ein Stein im Fluss sei und der Film das Wasser, das seinen Weg findet, berichten sie heute, in der Zensurbehörde habe sich viel getan. Man begänne, miteinander zu kommunizieren.

So jedenfalls beschreibt es die Regisseurin Li Yu, Jahrgang 1972, die vor fünf Jahren in Europa ihr Spielfilmdebüt „Fish and Elephant“ vorstellte, den ersten chinesischen Undergroundfilm, der die Geschichte einer lesbischen Liebe erzählt und bis heute nicht gezeigt werden kann. „In dieser Behörde sitzen jetzt Menschen, die mit uns reden wollen“, sagt sie.

Ihr zweiter Film „Dam Street“ (2005), mit dem sie im letzten Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig einen Preis gewann, handelt von einer jungen Frau in einer kleinen Stadt, die irgendwann in den Achtzigern ohne dazugehörigen Mann schwanger und damit aus der Gesellschaft verstoßen wird. Diesen Film, sagt Li Yu, wollte sie von Anfang an durch die Zensur bekommen. Sie wollte einen chinesischen Produzenten, und sie wollte den Film in China verwerten. Als das ursprüngliche Drehbuch zu „Dam Street“ nicht akzeptiert wurde, musste sie es ändern. Aus einem kleinen Gangster, der ein Kind zu seinem Komplizen macht, wurden die junge Frau und ihre zarten Bande zu einem unschuldigen Bengel. Der heutige Film hat mit dem ursprünglichen Filmidee nur noch die Grundaussage gemein: Wer in einer kleinen Stadt in den Achtzigerjahren in China zum Außenseiter wurde, dem blieb der Rückweg ins bürgerliche Leben für immer versperrt. „Immerhin“, sagt die Regisseurin.

„Noch vor ein, zwei Jahren musste man sich ein bisschen anstrengen, um das sagen zu können, was man wollte“, fasst sie die Lage zusammen. „Aber heute würde ich wahrscheinlich sogar das erste Skript zu „Dam Street“ durch die Zensur bekommen. In dieser Behörde hat ein Generationswechsel stattgefunden.“ Als bestes Beispiel nennt sie ihren neuesten Film, der „Lost in Beijing“ heißen soll. Er wird von einer minderjährigen Stripperin handeln und von deren Eltern, die eine Bar betreiben. Li Yu konnte es kaum glauben, als ihr Skript von der Zensurbehörde durchgewunken wurde. „Sie wurden dafür sogar vom Propagandaministerium gerügt“, sagt sie.

Ähnliches berichtet auch der 42-jährige Wang Chao, der 2001 für seinen Film „The Orphan of Anyang“, eine Liebesgeschichte zwischen einer Prostituierten und einem Arbeiter, im Westen gefeiert wurde. Auch dieser Film darf bis heute offiziell in China nicht gezeigt werden. Seinen zweiten Film „Day and Night“ beschnitt er nach den Wünschen der Zensurbehörde, so dass er in China gezeigt werden darf. Der Bergarbeiter, der sich zuerst mit der Frau seines Meisters vergnügt und dann mit der von dessen Sohn, darf sich in der chinesischen Fassung nun nur noch mit einer der beiden vergnügen. Was zu viel ist, ist zu viel, fand die Behörde – und der chinesische Zuschauer kann sich trotz der Kürzungen immer noch denken, worum es geht. Seinen dritten Film „Luxury Car“, der in diesem Mai in Cannes gezeigt wurde und einen Preis gewann, bekam Wang Chao schließlich ganz ohne Änderungsforderungen durch die Zensur. „Ich habe mir große Gedanken um eine dunkle Sequenz gemacht, in der ein Dieb ein teures Auto klaut. Aber am Ende kam sogar das durch. Ich habe mich ganz umsonst aufgeregt“, sagt er.

Und was ist mit Lou Ye, dem jetzt angeblich Berufsverbot droht? Sein Film „Summer Palace“ ist eine Liebesgeschichte vor dem historischen Hintergrund der Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989. Erzählt wird aus der Sicht einer romantischen Heldin, die die Ereignisse eher als sexuelle Revolution denn als Demokratiebewegung erlebt. „Summer Palace“ ist der erste chinesische Film, der mit etlichen Montagen von historischem Filmmaterial aus dieser Zeit aufwartet. Außerdem wird der Zuschauer immer wieder mit ausufernden Sexszenen konfrontiert. Der Regisseur, Jahrgang 1964, war 1989 Mitte zwanzig, er war in Peking und er ging wie alle damals zu jeder Tages- und Nachtzeit zum Platz des Himmlischen Friedens. Auf diesen Film hat er mehr als fünfzehn Jahre gewartet. Er musste ihn machen. So war es unvermeidlich, dass es noch einmal zu einem Zusammenstoß kam. Mag sein, dass die Zensurbehörde viel mehr erlaubt denn je. Wenn sie aber einen Film wie „Summer Palace“ akzeptierte, könnte sie sich selbst abschaffen.

Es scheint, als hätte das auch Lou Ye von Anfang an gewusst. „Ich tauche immer völlig in den Dreharbeiten ab und mache mir überhaupt keine Gedanken über Probleme wie die Zensur“, sagt er, der gerade in Paris in der Postproduktion seines neuen Films steckt, im E-Mail-Interview. Auf der anderen Seite stellt er seinen Umgang mit der Zensur als routiniert dar. Er berichtet von seinem ersten Film „Weekend Lovers“, der erst nach zwei Jahren durch die Zensur kam, von seinem zweiten Film „Suzhou River“, für den er 2000 im Westen als Vorreiter einer chinesischen Nouvelle Vague gefeiert wurde, der aber trotz seiner Bemühungen in China bis heute offiziell nicht erscheinen darf. Und er erwähnt „Purple Butterfly“, den letzten Film, am dem er vierzig Änderungen vornehmen sollte, aber schließlich mit nur vieren davonkam. „Ich würde aus ‚Summer Palace‘ alles herauskürzen, wenn sich die Zensurbehörde endlich äußern würde. Aber bislang bewahren sie Stillschweigen.“

Für Fang Li, den Produzenten Lou Yes, der auch Filme von Li Yu und Wang Chao auf den Weg gebracht hat, steht es in Frage, ob „Summer Palace“ jemals in China offiziell wird laufen können. Schon allein wegen des Regelverstoßes. „Ich glaube aber nicht, dass Lou Ye Berufsverbot erhalten wird“, sagt er. Er, der sich als Abenteurer darstellt, der zum Filmemachen kam wie die Jungfrau zum Kind und anfangs nicht einmal wusste, dass man zum Drehen eine Drehgenehmigung braucht, erklärt: „Das ganze Vorgehen bei ‚Summer Palace‘ im Vorfeld von Cannes war reinste Strategie, und zwar von beiden Seiten aus. Ich wollte den Film davor bewahren, von den Medien als neue Beweisführung gegen die Strenge Chinas ausgeschlachtet zu werden.“

Noch wenige Tage vor der Uraufführung in Cannes sagte er deshalb in Pressekonferenzen, der Film habe nichts mit 1989 zu tun und würde ohne grünes Licht aus China nicht gezeigt. Gleichzeitig telefonierte er immer wieder mit Peking. „Und die Zensurbehörde hat sich erstmals vorbildlich verhalten“, berichtet er. Bislang wurde der Film weder offen kritisiert, noch wurden Sanktionen verhängt. „Man kann hier von einem Stilwechsel sprechen.“ Das Schlimmste, was die Affäre angerichtet hat, ist nicht die Zerstörung der Karriere eines Filmemachers, sondern das ökonomische Desaster, in dem Fang Li jetzt steckt. „Was soll's!“, sagt er jedoch, der Filme wie diese sowieso bislang aus reiner Liebhaberei produziert hat und sein Geld unter anderem mit Forschung für die Marine verdient. Wahrscheinlich wird er als Nächstes einen kommerziellen Film produzieren. Kein Zweifel, dass er diesen durch die Zensur bekommen wird.