Ein Stasi-Offizier bei der taz

■ Die OibE-Liste brachte die Stasi-Vergangenheit des Leipziger Mitarbeiters an den Tag/ Beruflicher Ehrgeiz und die Familientradition als Auslöser

Zum ersten Mal äußert sich ein OibE, ein „Offizier im besonderen Einsatz“, öffentlich, ein Angehöriger jener 1.220 Stasi-Offiziere also, die nicht nur von der 'BILD‘-Zeitung als die „Geheimsten der Geheimen“ apostrophiert wurden. Das wäre von rechtswegen eine journalistische Sensation. Zumal es der taz gelang, diesen „Offizier im besonderen Einsatz“ im Zusammenhang ihrer Recherchen und der Veröffentlichung der sogenannten OibE-Liste zu „enttarnen“.

Aber einen Anlaß zur Genugtuung hat die taz trotz alledem nicht, weder vom Zeitpunkt der Nachricht her noch auf Grund ihres Inhalts. Stefan Schwarz, 26, war bis vor einem Monat ein Mitarbeiter unserer Zeitung. Er begann bei der Ost-taz zu arbeiten und hatte bis Ende März einen Pauschalvertrag, der aus redaktionellen Gründen gekündigt wurde. Erst jetzt, nachdem seine Rolle bei der Stasi entdeckt wurde, war er bereit, sich der Öffentlichkeit zu stellen. Wer notgedrungen, aus der Situation heraus, über seine Vergangenheit reden muß, hat kaum die Möglichkeit, sich frei mit ihr auseinanderzusetzen.

Noch weniger sensationell ist der Inhalt seiner Geschichte. Er selbst schlug als Titel vor: „Kleiner OibE, was nun?“ Eine solche Äußerung paßt zwar in das Schema der Verharmlosung, das alle ehemaligen Stasi- Angehörigen jetzt vorziehen. Gleichwohl ist sein Lebensweg von glaubhafter Trivialität, ohne dabei zu unterstellen, daß in dem Interview die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt wurde. Stefan Schwarz' Familie steht in einer kommunistischen Tradition. Seine Angehörigen waren Mitarbeiter des MfS, sein Vater war der Stasi-Bezirksleiter von Erfurt. Im Alter von 17 Jahren, im Jahre 1982, bewarb er sich bei der „Hauptverwaltung Aufklärung“. Das Elite-Bewußtsein dieser Abteilung und ihre Verachtung für die innenpolitischen, repressiven Arme der großen Krake teilte er. Zweieinhalb Jahre Ausbildung bei der Antiterroreinheit der Arbeitsgruppe des Ministers und ein halbes Jahr Mitarbeit folgten. Danach begann er in Leipzig, am „Roten Kloster“, Journalistik zu studieren. Sein Ziel war, im Ausland zu arbeiten. Als „Offizier im besonderen Einsatz“ hatte er ein normales Studium abzuwickeln und war aufgrund der Regeln der Geheimhaltung auch befreit von Spitzeldiensten.

Innerhalb seines Jahrgangs gehörte er zu einer „Inti (Intellektuellen)-Gruppe“. Dort gab es schon Anspielungen wegen seines Lebensstils, seiner privilegierten Wohnung. Drei Kommilitonen hat die Stasi auf Grund seiner Empfehlung zu werben versucht. Diese haben aber, obwohl sie die Mitarbeit verweigerten, darüber seinerzeit nichts erzählt. Auch das ist ein Stück DDR- Wirklichkeit. Erst Ende März 1990, also erst bei Auflösung der Stasi, endete seine Mitarbeit. Da hatte er aber schon mit der Arbeit bei der Ost-taz begonnen. Auch jetzt hat er noch, seinen Worten zufolge, Kontakt zu einigen aus seiner alten MfS-Gruppe.

Seilschaft? Allwissende, allmächtige Stasi? Diese Biographie spricht eher dafür, daß Stefan Schwarz an der Sonnenseite des DDR-Systems Karriere machen wollte. Die Wende erlebte er als Zerbrechen seiner Existenzgrundlage. In „Trotz“ und Unbußfertigkeit kapselte er sich ab. Für die taz ist das Verhalten von Stefan Schwarz in erster Linie ein Vertrauensbruch. Die taz wird sich mit ihm und seiner Arbeit weiter auseinandersetzen. Wir sehen — ohne dem Ende einer grundsätzlichen Diskussion vorgreifen zu wollen — derzeit keine Grundlage für eine weitere Mitarbeit. Die Veröffentlichtung des Interviews transzendiert gleichwohl den „Fall Schwarz“. Wir halten solche Veröffentlichungen für unbedingt notwendig, schon allein weil sie deutlich machen, wie wenig man mit Dämonisierungen die real fortwirkende Macht der Stasi erklären kann. KH