: Ein Spiel mit gezinkten Karten
■ Hans-Jürgen Jonas von der Kölner PatientInnenstelle erläutert, warum er eine Einmischung der Betroffenen für erforderlich hält
taz: Die PatientInnenstelle Köln hat ein Faltblatt herausgebracht. Quintessenz: „Die Krankenversichertenkarte gefährdet unsere Gesundheit!“ Warum diese Warnung?
Hans-Jürgen Jonas: Wir haben gemerkt, daß da ein Spiel mit gezinkten Karten betrieben wird. Es wird über eine Karte diskutiert, die zwar nur wenige Informationen enthält. Aber gleichzeitig ist schon in Vorbereitung, diese Karte um andere Funktionen zu erweitern, etwa auch Diagnosen, Befunde und Verschreibungen darauf zu speichern. Mit unserem Informationsblatt und einem Musterbrief wollen wir Patienten anregen, sich an ihre Krankenkasse zu wenden und um Aufklärung zu bitten.
Welche Kritik haben Sie an einer Karte, auf der auch medizinische Daten gespeichert sind?
Wir befürchten, daß das Gesundheitswesen noch stärker zu einem datenorientierten System wird, in dem es in erster Linie darum geht, computergerecht aufbereitete Informationen auszutauschen. Menschen und ihre Behandlung stehen dagegen immer weniger im Mittelpunkt.
Befürworter der Karte behaupten genau das Gegenteil. Sie wenden ein, es werde die Menschen selbstbestimmter und mündiger machen, wenn sie ihre Krankengeschichte künftig auf der Chipkarte bei sich tragen und darüber verfügen könnten.
Schon heute ist es für Patienten ungeheuer schwierig, Auskunft zu erhalten. Mit der Chipkarte werden die Daten nun auch noch unsichtbar. Nur Krankenkassen und Ärzte verfügen über die Geräte, um diese Daten wieder greifbar zu machen. Zudem ist ein Arztbericht durch Fachausdrücke und eine Zahnarztrechnung durch Gebührenziffern so verschlüsselt, daß man sie erst mal nicht versteht. Das wird zunehmen, weil für Computer alle Angaben standardisiert werden müssen.
Welche Alternativen sehen Sie, um die Position von Patienten zu stärken?
Man müßte in Richtung eines Patienten-Tagebuchs gehen. Darin könnten etwa Selbstbeobachtungen, Fragen zu medizinischen Problemen oder Behandlungsvorschläge der Ärzte stehen. Alle Macht und alle Informationen lägen in der Hand der Patienten. Sie würden bestimmen, welche Hilfen sie brauchen. Nichts müßte ausgelagert werden auf Karten oder Computer. Dann würde sich auch der Streit um Einsicht in die Krankenakten erübrigen, weil das Patienten-Tagebuch die Krankenakten überflüssig machen könnte. Dies wäre ein entscheidender Schritt, Verantwortung wieder in die Hände der Patienten zu legen, denn schließlich geht es um ihre Gesundheit.
Was können Patienten tun, die der Krankenversichertenkarte skeptisch gegenüberstehen?
Unser Vorschlag ist: Informieren sie sich, was bereits jetzt über sie gespeichert ist, was darüber hinaus geplant ist, und mischen Sie sich aktiv in die Diskussion um Chipkarte und Verdatung ein.
Hatten Patientenstellen vor der Einführung der Karte Gelegenheiten, an ihrer Gestaltung mitzuwirken?
Nein. Die Verbände von Ärzten und Krankenkassen können – im Rahmen des Sozialgesetzbuches – unter sich ausmachen, welche Daten in welchem Umfang weitergegeben werden dürfen.
Gibt es überregionale Initiativen zur Versichertenkarte?
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen wird sich an die Krankenkassen und ihre Bundesverbände wenden, an das Gesundheitsministerium und an die Datenschützer. Wir werden sie auffordern, die laufende Einführung der Krankenversichertenkarte zu stoppen und umgehend für eine öffentliche Diskussion der aufgetauchten Schwierigkeiten zu sorgen. Es geht uns darum, zu verhindern, daß vollendete Tatsachen geschaffen werden, die dann vor lauter Sachzwängen nur noch kosmetisch, aber nicht mehr grundsätzlich korrigiert werden können. Interview: Ute Bertrand
Infoblatt und Musterbrief sind gegen Rückporto erhältlich bei: PatientInnenstelle im Gesundheitsladen Köln, Vondelstr. 28, 50677 Köln, Tel.: 0221/328 724. Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz hat gemeinsam mit dem Institut für Informations- und Kommunikationsökologie eine umfangreiche Broschüre zur Krankenversichertenkarte veröffentlicht. Bezug: DVD, Reuterstr. 44, 53113 Bonn, Preis: 5 DM.
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