■ FAO-Bericht über den Hunger in der Welt: Ein Spiegel der Unvernunft
Manche Zahlen sind stärker als alle Worte. Der jährliche Bericht der UNO-Landwirtschaftsorganisation enthält sich wie immer der politischen Stellungnahme. Seine statistischen Angaben sind das kommentarlos zuverlässige Dokument menschlicher Unvernunft. Sie sprechen für sich, doch wer sie zu lesen versteht, wird verstummen. Bekundungen der Betroffenheit sind nicht erwünscht, Spenden auch nicht. Die Daten der UNO-Organisation halten der ganzen Gattung einen Spiegel vor, nicht nur dem Individuum und seinem möglicherweise guten Gewissen. Menschen führen Kriege und glauben an das Gute. Aber sie schaffen es nicht, ihre Erde so einzurichten, daß niemand hungern muß.
Es mag auch eine ökologische Obergrenze für die Zahl der Menschen geben, die die Erde bewohnen können – erreicht ist sie noch lange nicht. Die Welternte ist zwar im letzten Jahr gesunken, aber sie reichte aus, noch mehr als die 5,7 Milliarden Menschen zu ernähren, die heute den Planeten bevölkern.
Die tatsächliche Statistik der UNO-Organisation sieht jedoch anders aus: 190 Millionen Kinder werden im nächsten Jahr Hunger leiden, 790 Millionen Menschen insgesamt, zwei Milliarden sind es, wenn die körperlichen und seelischen Folgen lediglich unzureichender, noch nicht ganz fehlender Ernährung berücksichtigt werden.
Kriege sind nur eine Ursache dieses Elends, sie haben es nun auch wieder nach Europa importiert. Erstmals zählt das ehemalige Jugoslawien zu den Problemfällen der FAO. Aber oft war Hilfe der Reichen schlimmer. Jahrzehntelang haben Europa und die USA zu Hause Überschüsse erzeugt, mit deren Export sie die Bauern der Entwicklungsländer ruiniert haben. Die chemisch hochgerüstete Landwirtschaft, die an ihre Stelle treten sollte, hat weltweit ökologische Verheerungen angerichtet und kein einziges Hungerproblem gelöst.
Die Chancen für eine Wende sind verschwindend gering. Sieben Jahre wurde um ein Welthandelsabkommen gefeilscht, das versprach, die Märkte für Nahrungsmittel zu öffnen. Die Ärmsten könnten davon am meisten profitieren. Aber bis zuletzt sperrten sich europäische Regierungen mit Hinweis auf ihre Bauern dagegen. Das Gatt-Abkommen ist unterzeichnet, wenig spricht dafür, daß es in die Tat umgesetzt wird. Denn nur der Kampf um Privilegien macht erfinderisch, der Kampf gegen den Hunger der anderen erlahmt schon an der eigenen Haustür. Niklaus Hablützel
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