: Ein Sonderstatus für die Kirchen ist überflüssig
■ betr.: „Kirche lehnt ab“, taz vom 28. 7. 95
[...] Die Sprecherin des Justizministeriums bemüht den „öffentlichen Frieden“, um die Beibehaltung des § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Relgionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen) zu rechtfertigen. Der muß ja gewaltig gefährdet sein, wenn es im Jahr 1994 ganze sechs Ermittlungsverfahren wegen dieses Tatbestandes gegeben hat!
[...] Dieses Dinosaurier-Gesetz aus Kaisers Zeiten ist überflüssig wie ein Kropf. Wir haben genügend Gesetze, um Beleidigungen, Ehrabschneidungen und dergleichen zu ahnden. Mit deren Hilfe können Kirchenleute genauso wie normale Menschen zu ihrem Recht kommen. Ein Gesetz, das einen Sonderstatus für die Kirchen schafft, auch noch anzupreisen, es stehe „für Toleranz“, ist ein Witz. Wann je hätten Privilegierungen die Toleranz gefördert? Hier begegnen wir einmal mehr der merkwürdigen Logik, die da lautet: Intolerant ist, wer „gleiches Recht für alle“ auch bei der Behandlung der Kirchen fordert.
Der § 166 StGB soll dem Wortlaut nach alle Weltanschauungsgruppen schützen. Tatsächlich rekurieren auf ihn aber nur die Großkirchen, was vielleicht auch etwas über deren innere Verfassung sagt: Wenn der Sprecher des Münchner Ordinariats jammert, es habe in jüngster Zeit eine Reihe von Versuchen gegeben, „Glaubensinhalte unter Benutzung geistlicher Symbole lächerlich zu machen“ und daraus die Beibehaltung des „Gotteslästerungsparagraphen“ ableitet, so ist diese Wehleidigkeit nicht gerade ein Zeichen von gelassener Souveränität. Da müssen andere Gruppen ganz anderes einstecken, und sie verkraften es, auch ohne zum Kadi zu laufen und sich darüber zu beschweren, „lächerlich“ gemacht worden zu sein.
Gerade Kirchenvertreter sind anderen gesellschaftlichen Gruppen gegenüber nicht eben zimperlich. Es gibt keinen Grund, eine Institution in besonderer Weise vor vermeintlichen oder tatsächlichen Beleidigungen zu schützen, die es ihrerseits zuläßt, daß einer ihrer Erzbischöfe über „hergelaufene Schwule“ und „randalierende Aids-Positive“ räsoniert und abtreibende Frauen als Mörderinnen beschimpft. Ursula Neumann, Mitglied des
Bundesvorstandes der Humani
stischen Union e.V., München
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