Das Portrait: Ein Sohn Frankreichs
■ Khaled Kelkal
Wäre Khaled Kelkal nicht im April, sondern erst im Mai 1971 zur Welt gekommen, hätte er einen französischen Paß gehabt. Denn vier Wochen nach ihrer Niederkunft in dem algerischen Mostaganem nahm die Mutter ihr Baby unter den Arm und zog ihrem nach Frankreich emigrierten Gatten nach. Seither lebt die Familie Kelkal in einem sechsstöckigen grauen Wohnblock in Vaulx- en-Velin in der Banlieue Lyons.
Wegen des einen Monats geriet der junge Mann 24 Jahre später als „Algerier“ in die Schlagzeilen. Als mutmaßlicher „islamisch-fundamentalistischer Attentäter“ avancierte er zum meistgesuchten Mann Frankreichs. Zuvor waren seine Fingerabdrücke auf einer auf der Zugstrecke Paris–Lyon deponierten Bombe, die nicht detoniert war, entdeckt worden. Seit seinem Tod am Freitag gilt Kelkal außerdem als Verantwortlicher der Attentatsserie dieses Sommers und als möglicher Mörder von Imam Sahraoui, der im Juli in einer Pariser Moschee erschossen wurde.
Bis 1990 war Kelkal keiner Behörde aufgefallen. Der Jugendliche besuchte ein Lyoner Gymnasium, was für ein algerisches Immigrantenkind eher ungewöhnlich ist, und galt als guter Schüler. Der Bruch kam mit den „Rammfahrten“: Jugendliche aus der Banlieue fahren mit gestohlenen starkzylindrigen Wagen in die Innenstadt, wo sie Khaled Kelkal, Attentäter und „Monsieur Sourire“Foto: rtr
Schaufenster rammen, um anschließend das Geschäft zu plündern. Kelkal wurde dreimal erwischt und erhielt eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Sein Verteidiger erinnert sich an einen „charmanten Typen, der sehr in die Familie eingebunden war“ und sich nach dem Gymnasium sehnte.
Als religiös oder gar von FIS und GIA beeinflußt fiel der junge Mann auch nach seiner Freilassung nicht auf. Freunde aus dem Boxclub in Vaulx-en-Velin, den Kelkal gelegentlich besuchte, beschreiben ihn als freundlichen und ganz gewöhnlichen Banlieuzard, den man „Monsieur Sourire“ (Herr Lächeln) nannte.
1993 nimmt Mutter Kelkal ihren Sohn Khaled mit in Urlaub in den Geburtsort Mostaganem. Die Begegnung mit seinem dort lebenden Onkel, der politisch in der FIS aktiv ist, bewerten die Ermittler heute als wegweisend für seine spätere Entwicklung. Am 15. Juli dieses Jahres gerät Kelkal in eine Polizeisperre bei Lyon, liefert sich eine Schießerei mit der Polizei und flieht. Seither versteckte er sich – bis zum Freitag. Dorothea Hahn
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