: Ein Sieg dem Opportunismus
Mit gewendeten Parteien soll sich in die Zukunft geschummelt werden ■ G A S T K O M M E N T A R
Wir hatten die Wahl. Es gibt einen Sieger, der sich in zwei Lager verteilt: den Opportunismus. Zwei staatstragende Parteien, eine in den ökonomischen Ruinen schlingernden Diktatur, bekamen das Vertrauen der Mehrheit: CDU und PDS. Zusammen mit anderen Blockresten über 60 Prozent. Damit wählten die meisten ihre eigene Vergangenheit, eine der Anpassung und Verlogenheit. Und wie die gewendeten Parteien wollen sie sich in eine Zukunft schummeln, ohne wirklich die eigene Mitschuld zu reflektieren. CDU und PDS wären auch die natürlichen Regierungspartner, schließlich arbeiten sie schon seit vierzig Jahren harmonisch miteinander, nicht nur als Mitarbeiter und Zuträger der Staatsicherheit. Über die DDR-CDU viel zu sagen erübrigt sich. Wer die Deutsche Biertrinker-Union wegen ihres einseitigen Wahlprogramms für politisch fehl am Platze hält, müßte die Christliche -Westmarkeinführungsunion wegen ihrer thematischen Enge auch ablehnen. Wenigstens Schnur bleibt uns als Chef erspart ein Dank der Staatssicherheit. Dieser permanente Trauerredner der deutschen Nation, dieser um Mitleid bettelnde gerissene Betrüger wäre zu viel des Unguten. Der „demagogische Aufbruch“ erlebte seinen verdienten 0,8 -Prozent-Einbruch, nur der neue Spitzenkandidat scheint es nicht bemerkt zu haben. Die unabhängige Linke beeindruckte durch ihre maßstabsetzende Zersplitterung, allein das „Wahlbündnis 90“ zog sich respektabel aus der Affäre. 2,9 Prozent der Wähler haben bemerkt, wo derzeit die fähigsten, selbstbewußtesten Politiker sind. Das doppelt so gute Ergebnis in Berlin läßt Hoffnung für kommunale Wahlen.
Mehr als ein Wort noch zur PDS. Der intellektuell charmante Zuckerguß sollte nicht über ihren durch und durch verkommenen Charakter hinwegtäuschen. Die SED hätte sich eben doch auflösen und ihr zusammengeräubertes Vermögen der Gesellschaft übergeben müssen. Nun treiben einzelne Funktionäre den Kapitalisierungsprozeß eifrig voran, indem sie Parteigelder in Privatkapital umrubeln - und plötzlich als Unternehmer oder als Immobilienbesitzer dastehen. Währenddessen fordert ihre Führung lauter sympathische Dinge, von denen sie weiß, daß sie diese nie erfüllen braucht. Die Abschaffung der Wehrpflicht als Forderung aus dem Munde einer Partei, die vierzig Jahre lang die Gesellschaft militärisch durchdiszipliniert hat - es handelt sich um eine ähnliche Demagogie, wie sie die konservative Allianz auf der anderen Seite gegen die Sozialdemokraten betrieb. Die PDS - ein Zwitter aus einem unschuldig, unverbraucht in die Zukunft schauenden Säugling (dem man vor lauter Mitleid immer einen Schnuller in den Mund stecken möchte) und einem weiter vor sich hin wesenden Leichnam, Reste verkommenen Staates in sich bergend.
So polarisierte sich in den letzten Wochen der Wahlkampf zwischen den beiden Seiten, die sich am ähnlichsten sind. Der Sympathiezugewinn der PDS löste Wut bei ihren Gegnern aus - das förderte die Neigung, Allianz zu wählen. Der Umfragenzuwachs für die Konservativen löste bei anderen wiederum die fatale Trotzreaktion aus, PDS zu wählen. Die SPD dazwischen kam innerhalb von zwei Monaten von einer fast sicheren absoluten Mehrheit auf ein Fünftel der Wählerstimmen. Schuld daran ist auch die zu selbstgerechte Vergangenheitsaufbereitung. Anders als CDU und PDS kann sich die SPD eine Diskussion über Fehler ihrer Vergangenheit leisten, denn letztlich überwiegen bei ihr die Erfolge. Doch die kommen nicht zur Geltung, wenn man eine Diskussion insgesamt verdrängt. Und dazu gärt auch das Eingeständnis, die Forderung nach Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR (gerade Lafontaine steht in der DDR als Synonym dafür) war ein Fehler gewesen. Auch die Streichung der Gelder für die Erfassungsstelle in Salzgitter. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die West-CDU nur aus Versehen oder bornierter Anmaßung sich zu diesen Fragen richtiger verhalten hat.
Zurück zur Wahl. Der Süden des Landes erpreßt den Norden und alle zusammen Berlin. Die Herauslösung der Stadt mit ihren gänzlich anderen Verhältnissen aus der DDR wäre eine logische Alternative. Ich glaube, diese Wahl hat den Keim für eine künftige Autonomiebewegung gelegt. Von der Zeitungsfrau bis zur Schulklasse meines Sohnes höre ich eine Empörung über den Ausgang der Wahl, die auf beträchtliche politische Erschütterungen deuten. Sollten DSU und RAF jene Kräfte sein, die in den nächsten Jahren am meisten an Einfluß zulegen werden?
Lutz Rathenow
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen