Ein Schultag in Hamburg

Kleineleutestadtteil Horn kämpft für Bildung. Gewerbeschule 16 bestreikt. GEW bezichtigt Schulbehörde der „Lüge“ und versenkt „BBS-Zerstörer-Lange“ auf der Alster. Senator kritisiert „martialische Wortwahl“. Deputierte fordern Modell-Stopp

Die Schilder werden immer mehr: „Bauchfrei wichtiger als Bildung?“

von KAIJA KUTTER

Wer die Aktivitäten des „Kreiselternrats 12“ verfolgt, lernt Straßenzug für Straßenzug Horn kennen. Ein Kleineleutestadtteil kämpft für die Chancen seiner Kinder. Steinadlerweg, Stengelestraße, Querkamp, seit dem 16. Juni wurden neun Schulen nacheinander blockiert. „Wir können über ein Arbeitszeitmodell reden, wenn damit nicht 1000 Lehrerstellen gespart werden“, sagt der Vorsitzende Frank Ramlow an diesem Morgen zum vielleicht 20. Mal. Er ist CDU-Wähler und sauer über die Schulpolitik.

Es beginnt gestern früh an der Schule „Beim Pachthof“. Die Schuleingänge mit Plastikband abgesperrt, auf dem Hof jubelnde Schüler mit Pappschildern. „Bauchfrei wichtiger als Bildung?“ steht auf einem Plakat in Anspielung auf das Medieninteresse und „Keine Klassenreisen, das ist doof“. Die Lehrer lassen sich gemäß Behördenweisung nicht blicken. Die Schule gehört seit drei Jahren zum Schulversuch sechsjährige Grundschule. „Auch das wird beendet“, sagt Elternsprecher Kian Khamneyi.

Schnell weiter zur Nachbarschule Speckenreye. Denn um 8.45 Uhr sollen 100 Gasluftballons steigen, der Termin wurde von der Flugsicherung freigegeben. „Für die Schule, für die Schule!“ skandieren die Kleinen, fast jedes trägt ein Schild. „Die nehmen wir von Schule zu Schule mit, das werden immer mehr“, freut sich ein Vater. Die Ballons steigen schnell, die Kinder schauen begeistert hinterher. „Das hier ist schön“, sagt Schulleiterin Almut Lommatzsch, im Allgemeinen finde sie es nicht gut, wenn man Kinder instrumentalisiert. Doch der Protest sei berechtigt, das Arbeitszeitmodell benachteilige letztlich die Kinder: „Hier gibt es ziemlich viele Kinder, wenn man die nicht persönlich betreut, wird aus denen nichts.“

Hermelinweg, Farmsen, zehn Kilometer weiter nördlich wird die Gewerbeschule 16 seit acht Uhr früh bestreikt. Schülersprecher Jan-Felix und seine Mitschüler haben das organisiert. „Wir befürchten, dass aus fähigen Lehrern Unterrichtsautomaten gemacht werden“, erklärt der 18-Jährige. Fähige Lehrer, damit meint er Pädagogen, die in den Ferien den Computerraum restaurieren oder in ihrer Freizeit mit Schülern die beliebten Eishockey-Wettkämpfe in der Farmsener-Eissporthalle durchführen. „Das Kernproblem ist ein anderes“, sagt der Politiklehrer Thomas Kykillus. So bilde die G16 hochtechnische Berufe wie Mechatronik, Feinwerktechnik, Informationstechnik und Kältetechnik aus. Deshalb stünden die Lehrer unter einem „hohen persönlichen Fortbildungsdruck“, aber für Weiterbildung gibt es künftig nicht mehr genug Zeit. Kykillus: „Damit ist unser Ausbildungsauftrag gefährdet.“ Doch auf eine entsprechende Warnung des Kollegiums habe die Behörde nicht reagiert.

Kykillus ärgert sich auch über den „Flyer“ der Bildungsbehörde, der gestern in zigtausendfacher Auflage großen Zeitungen beigelegt war. Senator Rudolf Lange (FDP) behauptet darin, die Lehrer würden derzeit 38,5 Wochenstunden arbeiten und nach den Ferien gerechter Weise wie alle anderen Beamten auch die 40-Stunden-Woche bekommen. „Dies ist eine glatte Lüge“, empört sich die GEW, die mittags bei einer Paddelschlacht auf der Alster den „Zerstörer Lange“ symbolisch die Pappkanone wegnahm.

Der so Gescholtene revanchierte sich. Die GEW schaffe durch ihre „martialische Wortwahl“ eine gefährliche Basis „für solche Auswüchse, wie wir sie in den letzte Tagen erlebt haben“, verkündete Rudolf Lange und meinte die Kinderzeichnungen von der Schule Ludwigstraße.

Die Bilder lenkten die Stadt für einen Tag ab vom dem, was die sechs Behörden-Deputierten Armin Oertel, Meike Jensen, Karen Medrow-Struß, Christian Freitag, Jan Riecken und Erik Pust gestern in einem Brief bilanzierten: Das „Vertrauen“ in verantwortliches Behördenhandeln bei Schülern, Eltern und Lehrern sei „zerstört“, weil es „immer neue Berechnungen“, zum „Experiment“ Arbeitszeitmodell gebe. Aus Gesprächen auch mit Behördenmitarbeitern wüssten sie, wie sehr darum gerungen werde, das Modell mit all seinen Ungereimtheiten „irgendwie“ umzusetzen und den Schaden für Schüler gering zu halten. Als „ehrenamtliche Mitglieder“ der Behördenleitung hielten sie dies für „nicht verantwortbar“.