: Ein Rohbau kommt in Form
■ Der seit 1989 bestehende Weltverband des Behindertensports IPC will durch Einschränkung der Schadensklassen mehr Anerkennung gewinnen
Berlin (taz) — Unbemerkt vom Sportpublikum feierte das International Paralympics Comittee (IPC), der weltweite Dachverband der Behindertensportler, in diesen Tagen sein einjähriges Bestehen. Verstecken müsse sich das IPC keineswegs, meint die Sportwissenschaftlerin Dr.Gudrun Doll-Tepper aus Berlin, die sich seit vielen Jahren mit der Behindertensport-Szene beschäftigt. „Das Präsidium rund um Robert Steadward hat mehr geleistet, als man noch vor einem Jahr zu hoffen gewagt hatte“, urteilt sie.
Diese positive Einschätzung teilt auch André Deville, der Sportchef der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung: „Der Rohbau, durch den noch vor einem Jahr der Wind zog, hat erste Türen, Fenster und Treppen bekommen.“
Danach sah es zumindest bei der Gründungsversammlung, die vor einem Jahr in Düsseldorf stattfand, noch überhaupt nicht aus. Die Vertreter der damaligen Einzelverbände, die sich aus Körperbehinderten, Querschnittsgelähmten, Blinden, Gehörlosen, zerebral Bewegungsgestörten sowie geistig Behinderten zusammensetzten, kämpften verbissen um ihre Pfründe.
„Ohne das IPC geht nichts mehr“
Der Gründungskongreß stand ob der scheints zu unterschiedlichen und speziellen Vorstellung mehrmals kurz vor dem Abbruch. Bei der diesjährigen Generalversammlung, die im Juli in Groningen erfolgte, war jedoch von den Querelen nichts mehr zu spüren, Vielmehr prägte Harmonie das Treffen. Diesen Stimmungswechsel konnte sich auch IPC-Präsident Robert Steadward aus Kanada nicht ganz schlüssig erklären: „Wahrscheinlich haben die alten Verbände endlich kapiert, daß es ohne das IPC nicht mehr geht.“
So konnte in Groningen die in Düsseldorf unvollständig gebliebene Satzung endgültig verabschiedet werden. Danach ist das IPC nun wirklich die einzige Behindertensport-Organisation, die die Paralympics (die Olympiade der Behindertensportler) und Weltmeisterschaften veranstalten darf — und ist endlich arbeitsfähig.
Die Inflation der Schadensklassen
Was für Außenstehende wie eine Selbstverständlichkeit klingt, war jahrelang bei den Behindertensport- Funktionären heftig umstritten. Erst auf Druck von IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch aus Barcelona, der nicht länger mit sechs Verbänden verhandeln wollte, begannen die Vorbereitungen für den Einheitsverband.
Das neu geschaffene IPC machte schnell von seinen Kompetenzen Gebrauch, indem es als eine der ersten Arbeitsgruppen das „Sport Technical Comitee“ einsetzte. Diesem Gremium ist die wohl schwerste Aufgabe zugefallen, nämlich Herr über die inflationäre Vielzahl der Schadensklassen zu werden. „Es ist doch niemandem klar zu machen, daß bei den Paralympics in Seoul allein 54 Goldmedaillen im Kugelstoßen vergeben wurden“, so Präsident Steadward.
Der Behindertensport könne weltweit nur mehr Anerkennung gewinnen, wenn bei den Wettkämpfen allein die sportliche Leistung entscheide. Für die Sportarten Schwimmen, Tischtennis und Leichtathletik ist mittlerweile ein neues Klassifizierungssystem konzipiert worden. Dabei werden die verschiedenen Behinderungen, soweit es möglich ist, zusammengefaßt.
Neben einer Arbeitsgruppe für Forschung und Wissenschaft ist auch die „Abteilung“ Finanzen tätig, denn „von den wenigen hundert Dollar Mitgliedsbeitrag, die jedes Land zu zahlen hat, kann unser Verband nicht leben“, sagt Steadward. Er hofft, daß das IPC in absehbarer Zeit weltweit operierende Markenhersteller als Sponsoren gewinnen kann. Der Kanadier liebäugelt zudem mit einer Unterstützung durch das IOC. Nicht nur über diesen Punkt will er mit Antonio Samaranch Anfang November in Lausanne sprechen.
Noch immer verfolgt der IPC- Präsident seinen Plan, einige Behindertensport-Disziplinen in das Programm der Olympischen Spiele zu integrieren. Abgerückt von dieser Wunschvorstellung ist bereits Reiner Krippner, der Präsident des deutschen Behinderten-Sportverbandes, zugleich erster IPC-Vizepräsident: „Ich glaube, wir hätten viel gewonnen, wenn es eines Tages die Olympischen Spiele der Behinderten gäbe, das heißt mit den olympischen Ringen und stärkerer Akzeptanz durch die Sportwelt.“ Ihre unterschiedlichen „olympischen Visionen“ werden Steadward und Krippner in den nächsten Wochen erst einmal zurückstellen müssen.
Erste Falltüren im Rohbau
Ein Vertrag, den das IPC mit dem Weltverband der Gehörlosen abgeschlossen hat, sorgt für Mißstimmung bei den anderen Behindertengruppen. Denn den gehörlosen Sportlern wurden zahlreiche Sonderrechte zugestanden. Zum Beispiel dürfen sie weiterhin ihre seperaten Weltspiele der Gehörlosen durchführen.
Steadward: „Wir haben anerkennen müssen, daß die Gehörlosen mit ihrer Behinderung sich nicht durch uns vertreten fühlen. Sie werden dem International Paralympics Comittee demnächst als assoziiertes Mitglied angehören.“ André Deville aus der Schweiz hält dagegen: „Entweder wir haben einen Einheitsverband oder nicht. Warum baut das IPC in den noch nicht fertiggestellten Rohbau schon wieder die ersten Falltüren ein?“
Steadward ist sich sicher, mit Überzeugungsarbeit diese „atmosphärischen Störungen“ beilegen zu können. Daran glaubt auch Gudrun Doll-Tepper von der Freien Universität Berlin: „Robert Steadward hat aus dem IPC einen funktionsfähigen Dachverband gemacht. Ohne dieses IPC wird der Behindertensport wieder in die alte Machtlosigkeit zurückfallen, an der niemand gelegen sein kann.“ Ralf Köpke
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