KOMMENTAR: Ein Requiem mit Widerhaken
■ Leipzig und sein ungeliebtes "Fußballfest"
Es gibt wohl kaum ein Spiel in der Fußballgeschichte, das solch abenteuerliche Metamorphosen durchgemacht hat wie jenes treudeutsche Kräftemessen, welches mangels geeigneten Vokabulars inzwischen als „das Leipziger Spiel“ in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist. Ursprünglich als schnöde Qualifikation für die Europameisterschaft 1992 in Schweden ausgelost, wurde es schnell vom Wirbelsturm der deutschen Vereinigung erfaßt. Während die Westler in Italien Weltmeister wurden, verabschiedeten sich die östlichen Brüder im Kickergeist schon mal langsam von der internationalen Bühne, die sie ohnehin meist auf ziemlich leisen Sohlen entlanggestolpert waren. Das hochgejubelte deutsch-deutsche Duell degenerierte zum letzten Auftritt einer dahinsiechenden Verbandself, zum Requiem für den DDR- Fußball, geschmackssicher terminiert just auf den Bußtag.
Und während der Deutsche Fußball-Bund (DFB) noch versuchte, das trübe Ereignis, für das sich, wie der Vorverkauf verriet, kaum jemand interessierte, zum „Fest“ hochzujubeln und einigermaßen lukrativ über die Runden zu bringen, gaben die Schüsse von Leipzig am letzten Wochenende der Sache den Rest. Aus dem kleinen Betriebsausflug des Weltmeisters in die sächsische Fußballpampa wurde plötzlich die Nagelprobe des deutschen „Fußballs danach“, Zankapfel für Politiker, Polizisten und Funktionäre.
Der DFB ist, mit dicken Werbeverträgen im Säckel, fest entschlossen, das Spiel im maroden Leipziger Zentralstadion, wo es massenhaft Wurfgeschosse für die Hooligans und jede Menge freie Schußbahn für die Polizei gibt, durchzuziehen. Keine Kapitulation vor der Gewalt, ist die kernige Devise von Neuberger und Co. Wozu gibt es schließlich die Polizei? Zum Draufhauen! Na also!
Leipziger Stadtverwaltung und Polizeigewerkschaft (GdP) wären hingegen liebend gern bereit, vor der Gewalt zu kapitulieren. Den westdeutschen Polizisten, die zur Verstärkung nach Leipzig beordert werden sollen, graust es davor, unter einheimischen Einsatzleitern, die sie als komplette Nieten betrachten, zu agieren, und der stellvertretende Vorsitzende der GdP, Steffenhagen, hält eine Austragung des Spieles schlicht für „Irrsinn“, zumal es doch „um nichts“ gehe.
Als Kompromiß käme eigentlich nur eine Verlegung des ungeliebten Matches in Frage. Bloß wohin? In den Stadionfestungen des Westens würde auch noch der letzte Symbolgehalt der Begegnung flöten gehen und im Osten sind die Probleme im Prinzip überall die gleichen.
Doch wenn die Not am größten, ist die Rettung oft schon nah. Ausgiebige Recherchen unsererseits haben ergeben, daß es doch eine Stätte gibt, die den Anforderungen dieses brisanten Spieles in geradezu idealer Weise entspricht, einen Ort, an dem der Mundgeruch der Geschichte weht und dennoch alle Vorkehrungen zur schnellen Hooligan-Entsorgung getroffen werden können: den Sportplatz des Bautzener Knasts. Matti Lieske
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