: Ein Preis zu wenig
■ Der Opernmarathon der 1.Münchner Biennale ging zu Ende
Barbara Zuber
Die Münchner Biennale ist vorüber, die Musiktheaterpreise sind verteilt, das Pressevolk kann einen kiloschweren Berg von Informationsmaterial abheften, und vorm Gasteig parken bereits die ersten Transporter mit viel Gepäck für das Münchner Filmfest, das mit Plakaten lockt Das Rahmenprogramm
Fast vier Wochen dauerte Münchens Fest des jungen Musiktheaters, eine breite Offensive gegen den verstaubten Opernbetrieb. Wie es scheint, mit Erfolg. Da gab es zunächst Konzerte mit neuer Musik in der prall gefüllten Philharmonie, mit Programmen vom Altmeister Schönberg bis zu französischen, englischen und russischen Komponisten. Das Freie Musikzentrum hatte man eingeladen, sein Bastlertalent mit neuen Klängen vorzuführen. Münchens Musikhochschule steuerte eine passable Eigenproduktion bei, Udo Zimmermanns Ehekrach-Oper, „Die wundersame Schustersfrau“. Manchen lahmen Flop wie die Ballettoper „La Sirenetta“ von Alessandro Sbordoni (im Gärtnerplatztheater) oder Maximilian Beckschäfers Biennale-Oper „Der Trojanische Frieden“, eine Art musikalische Gymnastik- und Hopsstunde für die Schüler des Pestalozzi-Gymnasiums, mußten wir über uns ergehen lassen.
Aber dann konnte man beruhigt feststellen, daß neue Musik auch Witz zeigen kann: HK Gruber brillierte als schwarzer Entertainer mit seinen schwarzhumorigen Kinderreim -Kompositionen „Frankenstein!!“, begleitet vom Ensemble Modern. Und da Hans Werner Henze als künstlerischer Leiter die Zügel führte, war auch Didaktisches angesagt. In Siegfried Mausers Gesprächskonzerten durfte man den stark ausgelichteten Urwald der neuen Musik hören, von Cage bis Rihm und Feldman, von Berio und bis zu B.A.Zimmermann, mit einer starken Schlagseite zugunsten der Lokalmatadoren Engel, Winbeck, Killmayer und Bose. Hoffentlich kommt keiner auf die Idee, das sei's nun gewesen. Ganz Engagierte hatten die Gelegenheit, selbst kompositorisch ans Werk zu gehen. Es ging orffianisch zu: Man zimmerte ein Musiktanzspiel in Kollektivarbeit zusammen unter der authentischen Leitung von Wilhelm Keller. Opernzirkus gelungen?
Doch das war nur das Rahmenprogramm. Mit dem Hauptprogramm kam die Stunde der Bewährung, denn mit den Uraufführungen der sechs Biennale-Auftragsopern wollte die Landeshauptstadt ihre neue Mäzenatenrolle für das neue Musiktheater unter Beweis stellen. Und es ist ihr gelungen. Der Bühnenbildner Hans Hoffer hatte also nicht vergeblich das Biennale -Wahrzeichen entworfen: ein kleines Strichmännchen in einem Glaskasten, das Offenheit nach allen Seiten, Transparenz ohne pompösen Opernschwulst signalisieren sollte.
Am Ende winkten sogar stattliche Preise für die besten Beiträge der Komponisten und Librettisten, für die musikalische Leitung und das Bühnenbild, die kein Geringerer als ein Vetter ersten Grades der englischen Queen, Lord Harewood, in der Funktion als Ehrenvorsitzender der internationalen Jury, aushändigen durfte. Er, ein alter Hase, der mehrere englische Opernhäuser leitete, trug's mit der nonchalanten englischen Art. Auch durfte er sich freuen, daß das englische Komponisten-/Librettisten-Gespann, Mark -Anthony Turnage (Musik), Steven Berkoff (Autor) und der Regisseur Jonathan Moore, der zusammen mit Turnage das Libretto der Biennale-Oper „Greek“ erstellt hatte, die beiden begehrtesten Preise für die Partitur und das Textbuch ergattern konnten.
Wer die Oper „Greek“, eine ungemein witzige und boshafte Paraphrase des Ödipus-Stoffes, gesehen hatte, ahnte bereits, daß diese hochprofessionelle Produktion eines durchgehend englischen und sehr jungen Teams zum Biennale-Hit avancieren würde. Schon in der zweiten Aufführung konnte man regelrechte Fangruppen im Publikum beobachten, die das englische Opernwunder enthusiastisch feierten.
Daß man jedoch der „Stallerhof„-Inszenierung, über die bereits berichtet wurde, und Jaroslav Chundela den Regiepreis zuschanzte, ist angesichts der beeindruckenden Inszenierungen der beiden Biennale-Glanzstücke „Greek“ und Adriana Hölszkys Fassbinder-Oper „Bremer Freiheit“ völlig unverständlich.
Was Regisseur Jonathan Moore mit „Greek“ und das Stuttgarter Team unter der Regie von Christian Kohlmann mit „Bremer Freiheit“ auf die Bühne im Carl-Orff-Saal brachten, war nicht nur vorbildlich umgesetztes Musiktheater. Hier wurden zwei völlig unterschiedliche Genres mit ungewohnten, neuen szenischen Erfindungen formal schlüssig und vieldeutig schillernd realisiert. Freiheit überm Abgrund
Da man an Adriana Hölszkys „Bremer Freiheit“ doch nicht ganz vorbeikam, einigte sich die Jury darauf, dem jungen Dirigenten Andreas Hamary den Preis für die beste musikalische Leitung zu verleihen.
Damit man wußte, was gespielt wird, baute die Ausstatterin Birgit Angele ein U-förmiges hohes Bühnenpodest, das sich laufstegartig um das tief unten sitzende Orchester wand. Darüber schwebte die Geesche Gottfried aus Fassbinders Stück auf einer Schaukel mit schwingendem Rock - immer dann, wenn eines ihrer vergifteten Opfer sterben mußte. Freiheit überm Abgrund, der Höhenflug einer Mörderin, die alle umbringt, die sie erniedrigen, ihre Liebe schmähen: ihre Familie, ihre Männer und Freunde; auch der Pfarrer muß dran glauben.
Kohlmann, der Regisseur, entschied sich gegen den Realismus und schuf ein ironisch stilisiertes Musiktheater, einen irrwitzigen Totentanz. Da rennt eine besoffene Männerschar aufgekratzt auf und ab, mit umgeschnallten Melkschemeln. Sie trillern, trommeln und schwingen eine Ratsche. Alle Figuren verfremden sich selbst durch ständiges Hantieren mit Geräuschinstrumenten: Geesches bigotte Mutter reibt kratzend, raschelnd zwei Gebetbücher. Der sture Vater skandiert abgehackt, schlägt dazu besessen einen Stock. Gottfried, Geesches Geliebter, hat Autoritätsprobleme, rüttelt außer sich vor Wut an einer herunterhängenden Blechwand. Bruder Johann, der aus dem Krieg zurückgekehrt ist und Geesches Firma übernehmen will, kann sich nur noch mit einer Kinderblechtrompete Gehör verschaffen.
Adriana Hölszkys Musik sprüht vor Renitenz, wirft ein ganzes Geräuschvokabular in die Aktionen. Der Chor der Akteure, die nach ihrem Auftritt ins Orchester zurückkehren, wiederholt spöttisch bestimmte Worte der Dialoge, die von Bandeinspielungen überblendet werden. Ihre Musik prozessiert gegen Fassbinders Dialoge, auch gegen die Figuren. Um eine Musik von solchem Rang zu erfinden, bedarf es eines besonderen Sinns für die Valeurs der Sprache, für geheime Entsprechungen im musikalischen Detail und der dramatischen Gesamtstruktur.
Das Stuttgarter Ensemble der Staatsoper, die in Co -Produktion mit der Münchner Biennale das Werk in den Carl -Orff-Saal des Gasteigs brachte, sang, stotterte, gurrte, schnalzte und spielte sich blendend durch Hölszkys akribisch notierte Partitur, deren einfallsreiche, zuweilen sehr bildhafte graphische Notation bereits für sich ein kalligraphisches Kunstwerk ist.
Und eben in dieser Ordnung einer brodelnden, sehr geräuschhaften Musik mit Furchen und Verwerfungen zeigte die Komponistin jene phantasievolle Meisterschaft, für die sie den Kompositionspreis hätte erhalten müssen. Nicht, weil Turnages agressive und witzige Paraphrase des Ödipus-Stoffes weniger gelungen war als die Stuttgarter Produktion. Nein, die beiden Werke hätten den Preis verdient. Da hätte man bei BMW ruhig noch mal 20.000 Mark dazulegen können. Das wäre nur gerecht gewesen, zumal die Reise- und Unterbringungskosten für die internationale Jury mehr Geld verschlangen als alle fünf Musiktheaterpreise zusammen. Verweigerung
Wo die Kunst zum Nothelfer für die Geschlagenen wird, Kunst zum Appell, ist die Verweigerung jeglicher Ästhetik für viele unumgänglich. Andreas Lechner, ein waschechter Bayer, der mit seiner rabiaten Volksmusikgruppe „Guglhupfa“ dem geschmeidigen, kultivierten Folkloresound an den Kragen will, komponierte und dichtete für die Biennale ein Bauernrequiem mit dem Titel „Der letzte Milkaner“. Hier geht es ohne Beschönigung der EG-Politik der Ausrottung bäuerlicher Kultur durch Rationalisierung und Milchquotenregelung an den Kragen, und d.h. einer Landwirtschaftspolitik, die leichtsinnig die Überproduktion forcierte und anschließend die Talfahrt der mittleren und kleinen agrarwirtschaftlichen Betriebe verschuldete. Auch der Kirche als Aufkäuferin von bäuerlichem Grund und Boden, welche die sozialethische Decke über die verheerenden Folgen landwirtschaftlicher Überproduktion breiten will, liest Lechner die Leviten.
Lechner vertraute auf die dramaturgische Driftigkeit sogenannter O-Töne, hatte Berichte von betroffenen Bauern aus Niederbayern in seinen Texten verwendet im Glauben, daß die Realität die Wirklichkeit genügend kritisch darzustellen vermag. Eine Rechnung, die nicht ganz aufging. Für eine konzentrierte, pointierte Abschilderung der Verhältnisse hätte er das Stück geraffter, ohne diese betuliche, umständliche Weitschweifigkeit, konzipieren müssen. Zeigendes Theater im Brechtschen Sinne (von Musiktheater kann man eigentlich nicht reden) war das noch nicht, obgleich einige Szenen durchaus pfiffiges Volkstheater mit dissonanten Querschlägern im kräftigen Bauernviergesang boten. Ein Anfang ist gemacht
Die Biennale ist vorüber, auch die unvermeidliche Gratulationscour, in der jeder jeden beglückwünschte zu diesem phänomenalen Erfolg. Hans Werner Henze und seine Mannen brachten dieses Opernfestival ohne nennenswerte Hänger über die Bühne. Und natürlich fragen alle, wie es weiter gehen soll.
Eines steht fest: Diese breite Offensive war auch ein Sturmlauf gegen den verknöcherten Staatstheaterbetrieb und gegen eine bestimmte, hierzulande herrschende Ästhetik des zeitgenössischen Musiktheaters, die sich den pompösen Opernballast ans Bein gebunden hat.
Diese Biennale versuchte in einem ersten Anlauf, sich auch auf die Ästhetik und die Dramaturgie des Musiktheaters der zwanziger Jahre zu besinnen, auf die Zeitoper, die ihre Sujets in aktuellen Stoffen suchte und nicht die Mythen der alten Oper nur aufwärmte. So wurden am Rande der Biennale zwei Lehrstücke von Brecht/Weill und Brecht/Hindemith aufgeführt.
Und in dieser Richtung möge man bitte fortfahren, in der Konfrontation des neuen Musiktheaters mit den Versuchen der historischen Avantgarde, in deren Fundus noch viele Schätze ungehoben sind: z.B. die frühen Einakter von Hindemith und Krenek, Stücke von Satie oder Milhaud usw.
Kurzum, Henzes Biennale sollte auch weiterhin ein Testfall, eine Experimentierküche des zeitgenössischen Musiktheaters bleiben, das über seine Grenzen hinausgreift und unverbrauchte Entwürfe anbietet. Über das Publikum braucht man sich dann überhaupt keine Sorgen mehr machen. Das kommt in Scharen. München hat's gezeigt.
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