: Ein Postmann mit Hang zu Höherem
■ Der Ex–Postangestellte Gert Uwe Postel alias „Dr.Dr.Bartholdy“ steht in Bremen wieder vor Gericht / Er richtete eine „Koordinationsstelle für Fledermausschutz“ bei der Staatsanwaltschaft ein, „erschlich“ seine Beförderung und „verheiratete“ eine Staatsanwältin
Aus Bremen Susanne Paas
In Bremen begann vergangene Woche der Strafprozeß gegen einen ehemaligen Postbediensteten, der schon vor drei Jahren mit abstrusen Betrügereien höhere Beamte und Presseorgane narrte. Gegenstand vor dem Bremer Schöffengericht sind jetzt seine Inszenierungen, mit denen er eine Staatsanwältin zum Nervenzusammenbruch trieb. Vor zwei Jahren fand sie sich auf Heiratsanzeigen als Braut eines „Prof. Dr. multiplex Reinhard Ritter Ronstorf“. Hochzeitsgäste waren in ihre Wohnung geladen - „mit Frackzwang“. Die Staatsanwältin wurde nicht nur - über Jahre - von derartigen Scherzen genervt. Sie hatte Gert Uwe Postel, den Angeklagten, auch ständig am Telefon. Ungezählte Male rief er an, tags und nachts, sprach manchmal auch kein Wort, sondern atmete nur in den Apparat. Die Methode, seine Interessen durch rasche Identitätswechsel zu verfolgen, war nicht neu für den gelernten Postschaffner. Postel wurde bundesweit bekannt, nachdem er in den Jahren 1982–84 in verschiedenen Städten der BRD mittels selbst ausgestellter Zeugnisse und Urkunden erfolgreich zum „Gesprächstherapeuten“, schließlich sogar zum Flensburger Amtsarzt (“Dr. Dr. Bartholdy“) wurde. Damals behandelte er Patienten, erstellte psychiatrische Gutachten und verschaffte sich Anerkennung von Ärztekollegen, Verwaltungen und Behörden. Vor Gericht trat Gert Postel in der vergangenen Woche ganz wie der nette junge Mann von nebenan auf; er gab sich kooperativ, freundlich, geradezu aufgeräumt - und, vor allem: geständig. Neben Schwarzfahren (“Beförderungserschleichung“), Versicherungsbetrug (ein vorgeblicher Fahrraddiebstahl) und einem Kaufhausdiebstahl gestand er, als Aushilfskraft in einer Bremer Anwaltskanzlei DM 819,– unterschlagen zu haben (Postel: „Der Rechtsanwalt hatte ja Unmengen an Geld, zwei Flugzeuge...“). Er gestand die ihm vorgeworfene „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ und erzählte bereitwillig, wie er sich einem FAZ–Inserenten als „Prof. Dr. Postel“ für Promotionsvorhaben angeboten habe, „weil ich seinen Wunsch, promovieren zu wollen, verstehen konnte“. Das glaubt man ihm. Mit Bescheinigungen der „Evangelisch–Lutherischen Missionsanstalt“ im niedersächsischen Herrmansburg, in der er sich auf das geistliche Amt vorbereite, ließ er sich jahrelang vom Wehrdienst zurückstellen. Derweil begann er eine Ausbildung zum Rechtspfleger. Für den Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichtes hatte er eigens ein Abiturzeugnis gefälscht. Das Formular händigte ihm der Direktor eines Bremer Gymnasiums aus, bei dem sich Postel telefonisch als Angestellter des Staatsarchivs gemeldet hatte und als solcher das Zeugnisformular „mit Dienstsiegel versehen, aber ohne den Aufdruck Muster“ erbeten, besser: bestellt - und bekommen hatte. Sein persönliches Erscheinen und seine „ärztliche“ und „gutachterliche“ Tätigkeit haben ihn nicht verdächtig erscheinen lassen. Der Neuenkirchener Klinikchef erzählte sogar dem Verteidiger Heinrich Hannover, wie Postel damals sein Bewerbungsgespräch mit den Worten „Ich komme frisch von der Uni und ich kann gar nichts“ begonnen hatte - was ihn dem Klinikchef sympatisch machte. Nach Postels umfangreichen Geständnissen und einigen Verfahrenseinstellungen in unerheblichen Fällenlautet die Hauptanklage im Bremer Verfahrens auf Körperverletzung und Beleidigung der jungen Staatsanwältin. Postel ließ der Presse zahlreiche Meldungen zukommen, in denen er sie als „promovierte Zoologin“ zur von ihm erfundenen „Leiterin der Koordinationsstelle für Fledermausschutz“ machte. Er richtete auch ein „niedersächsisches– bremisches Umwelttelefon“ ein und rief zu Anrufen auf - unter Angabe ihrer Dienstnummer. „Die Leute sollten sie anrufen und sie bei ihrer Arbeit stören“, erläuterte er vor Gericht. Der Bremer Justizsenator erhielt ein Schreiben, in dem „diese begnadete Juristin“ für eine vakante Stelle als Generalstaatsanwältin vorgeschlagen wurde, „denn ihre Liebhaberei ist der tägliche Dienst, der Dienst ihre Liebhaberei“. Erstaunlich bleibt, daß Postel weder bei den großen und kleinen Zeitungen noch bei der renommierten Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) auf Zweifel stieß. Über die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und seine Motive, durch private Beziehungen oder selbst ausgestellte Zeugnisse gesellschaftliche Stufen zu überspringen, sollen zwei fachpsychologische Gutachten in die Verhandlung eingeführt werden.
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