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■ Ein Polizeihof in der SilvesternachtMiese Dramaturgie

Silvesterabend, 18.15 Uhr: Im Polizeipräsidium am Kaiserdamm, dem größten Revier Charlottenburgs, kündigt sich eine spannende Aufführung um Mitternacht an. Die letzten Vorbereitungen werden getroffen und das Personal noch einmal ausgewechselt. Im Hof herrscht hektisches Kommen und Wegfahren. Sogar zwei Campingbusse werden herausgesteuert. Skandal! Skandal! Arme obdachlose Zivilbeamte müssen wild auf Kreuzbergs Straßen campieren!

18.57 Uhr: Mit geübter Handbewegung werfen die Kinder von nebenan Böller gegen die Mauer des Polizeihofs. Eine Polizeiwanne, die gerade in den Hof zurückgesteuert wird, fährt mit quietschenden Reifen über den Gehweg auf die Kinder zu. Unser Gelände! Keine Böller! Weg da! Die Wanne dreht wieder ab. Kaum sind ihre Insassen im Hof ausgestiegen, werfen die Beamten mit geübter Handbewegung ihren Kollegen Böller zwischen die Beine.

19.05 Uhr: Zwei Polizisten schleppen einen sich sträubenden Skinhead aus der Wache in einen Gefangenenwagen. Kaum hockt er drin, wird ihm mit neckischer Geste ein Böller nachgeschmissen.

19.35 Uhr: Mit einer Luftschlange um die Antenne verläßt eine Funkstreife den Polizeihof.

22.25 Uhr: Einer von der Wachmannschaft holt seine Pistole raus und schießt rote Feuerbälle in die Luft. Den Tag zuvor hat die Polizei noch verkündet, das Raketenabschießen mit Schreckschußpistolen sei verboten. Lachend steigt der Schütze in einen Lada, derweil sein Kollege Böller zwischen die parkenden Autos schmeißt.

23.05 Uhr: Junge Mädchen bewerfen die Wache mit brennenden Wunderkerzen. Leider guckt mal wieder kein Schwein.

23.50 Uhr: Die Spannung steigt. Nur noch zehn Minuten, dann ist die Stadt ein Hexenkessel.

0.00 Uhr: Im Hof glänzt ein einsamer Lada im Regen.

0.08 Uhr: Das Polizeipräsidium gerät unter Raketenbeschuß. Nichts rührt sich. Sind dort drin alle schon tot?

0.28 Uhr: Endlich das langersehnte „Lalülala“. Aber nein, es kommt von der nahen Feuerwache in der Suarezstraße.

0.40 Uhr: Jetzt endlich verlassen einige Polizisten die Wache. Steigen ruhig und gemütlich ins Auto und fahren los. Ihre zurückbleibenden Kollegen sitzen wahrscheinlich gerade über einer Resolution gegen die ständige Arbeitsüberlastung. Ute Scheub

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