: Ein Ort der Bedürftigkeit
■ Kühlschrank, Herd und Spüle sind nicht alles - Küchenzeilen von Elsa Freese
Die Küche. Zielsicher streben wir nach der Arbeit dorthin, auf den Zustrom an Freude, Sättigung und Rast hoffend, der uns tags so zäh verschlossen blieb. Ein Strom von Licht, Wasser, Gas, Bier und das Geplapper der WG oder von Mann, Frau und Kind. Wein und Öl lagern hier, damit wir es verschwenden.
Wir - das sind die Leute, die in der Küche essen, Babys wickeln, rauchen, Menüs zubereiten, Kaffee trinken, telefonieren, Liebesbriefe schreiben und fernsehen. Funktional wird die Küche laut einer Studie des Soziologen Alfons Silbermann - „Neues vom Wohnen der Deutschen“ - folgendermaßen genutzt:
71 Prozent frühstücken in der Küche, 63 Prozent essen hier zu Mittag, jeder zweite genießt hier Kaffee und Kuchen, 57 Prozent das Abendessen. 36 Prozent erledigen hier ihre Flick- und Bügelarbeiten, 27 Prozent nutzen die Küche um miteinander zu reden und 19 für ihre Schreibarbeiten.
Das leistet die deutsche Durchschnittsküche. Kühlschrank, Spüle, Herd und Abfalleimer können also nicht alles gewesen sein, was eine Küche ausmacht. Sind sie auch nicht und waren es fast nie.
Abgesehen von einigen Versuchen, die Küche als Handwerksraum zu rationalisieren, zum Beispiel in der Form der „Frankfurter Küche“, ist der Wunsch, die Küche funktional zu machen, auch das Bemühen, Geruch, Abfall und Schwaden zu verbannen. Die Küche war immer Kernzelle des Hauses. In höfischen und bürgerlichen Häusern in der Mitte plaziert, im bäuerlichen Haus als Übergang zwischen Stalllungen/Garten und Wohnbereich.
„Man weiß sehr gut, warum die Kinder sich am allerliebsten in der Küche aufhalten. Das Feuer ist was Schönes. Die Küche durchwärmt das ganze Haus, und das Feuer ist, was es sein soll, Mittelpunkt des Hauses“, begründet 1926 der Architekt Alfred Loos die Anziehung dieses Ortes und kommt gleich zum nächsten Punkt. „Nun schneide ich die große Frage an: Küche oder Wohnküche. Ich will gleich von vorneherein sagen, daß ich für die Wohnküche bin ... Die Leute freut es zuzusehen, und eines schönen Tages wird in jedem Bürgerhause die Küche auch das Speisezimmer sein.“
Die Küche als Ort der sinnlichen Erfahrung, die kaum jemand entbehren möchte, und dennoch läßt die Gestaltung sich nicht festschreiben. Sie bleibt abhängig von dem, der sie alltäglich nutzen will und seine überkommenen Lebensweisen hineinträgt.
„Bei Großmutter ist es unmöglich, sich zu waschen ... Alles ist schmutzig in der Küche. Der holprige rote Fliesenboden klebt unter den Füßen, der große Tisch klebt unter den Händen und Ellbogen. Der Herd ist völlig schwarz vor Fett, auch die Wände ringsum, wegen des Rußes. Obwohl Großmutter das Geschirr spült, sind die Teller, die Löffel, die Messer nie ganz sauber, und die Töpfe sind mit einer dicken Dreckschicht bedeckt. Die Putzlappen sind grau und stinken“, klagt der Schriftsteller Agota Kristof. Wer kennt nicht die Küche des Vormieters, fettverklebt und gebräunt. Ekelhaft! Und doch wird dieser Mensch vor uns diese Küche erlebt haben als Ort der Sättigung und keinen Ekel empfunden haben, sondern sie vielmehr genauso begreifen wie Herr Magnani, italienischer Bürger, den seine Frau Franca so beschreibt: „Das Gelingen einer Mahlzeit hing laut Magnani im wesentlichen davon ab, ob es gelang, zwischen Küche und Koch eine Beziehung herzustellen. Das Kochen war, kurz gesagt, eine Frage des Charakters, des Temperaments und des Geistes.“
Das Bemühen, Hunger und Bedarf mit Geist und Kultur zu verbinden, findet sich heute wieder in Bestrebungen von Gestaltern, langlebige Materialien in funktionale Formen zu bringen und Küchen als Wohnraum neu zu bewerten. Auch nicht so ganz neu. 1926 schreibt Loos: „In Frankreich gibt es schon eine Menge Leute, die ein Speisezimmer mit Kochgelegenheit haben. Poiret, der moderne Damenschneider, hat sich auch eins bauen lassen.“
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