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Ein Muster an Sachlichkeit

Die Erfurterin Sabine Völker beteiligt sich nicht am Wettstreit um den Titel der Glamour-Queen des Eisschnelllaufens, sondern peilt zielstrebig olympisches Gold über die 1.000-Meter-Strecke an

aus Erfurt MARKUS VÖLKER

Als Gunda Niemann die baldige Ankunft eines „Querschlägers“ annoncierte, mit diesen Worten ihre Schwangerschaft bekannt gab und folglich die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Salt Lake City stornierte, geriet die Hierarchie des deutschen Frauen-Eisschnelllaufs kurzzeitig durcheinander. Doch es wurden keine Diadochenkämpfe um die Nachfolge ausgefochten. Sehr schnell war klar, dass Anni Friesinger aus Inzell die Macht übernehmen würde. Sie stünde fortan als Erinnerungsstütze für das mit Sport in den ausgefallensten Spielarten überfrachtete Publikum zur Verfügung: als kesse, frohgemute Bayerin, die keine Scheu vor der Kamera zeigt, ja, die sich sogar vorm Objektiv entblättert und für die Verbandsfunktionäre immer ein kritisches Wort übrig hat.

So ein handliches Rundum-sympathisch-Paket konnte Gunda Niemann nie schnüren. Und auch Sabine Völker kann es nicht. Deswegen scheiterte die Olympia-Vierte von Nagano an der Gunda-Nachfolge und muss nun die Nebenrolle im Anni-Spiel übernehmen, ein Part, den sie bereits mit Franziska Schenk einstudierte. Während Anni Friesinger sich in Baden-Baden bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres – sie wurde Zweite hinter der ebenfalls offenherzigen Fotos aufgeschlossenen Schwimmerin Hannah Stockbauer – im Ballkleid im gleißenden Scheinwerferlicht sonnte, sortierte Sabine Völker im wintergrauen Erfurt die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen. „Ich bin doch nur Vizeweltmeisterin geworden“, erklärt Völker, „für so einen Anlass ist das viel zu wenig.“

Anni Friesinger, die allroundende Weltmeisterin, gewährt gern Einblick in ihr Leben als Schlittschuhläuferin. Dass sie mit dem holländischen Kufenkönner Ids Postma nicht mehr zusammen sei, ließ sie wissen, dass sie gern ein Privatteam nach Vorbild der Niederländer gründen möchte, obendrein. Und die deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft solle ihr endlich genügend Werbeflächen auf dem Rennanzug überlassen, moserte Friesinger auf der Gala. „Ach, das mit dem Privatteam sagen die doch schon seit zwei Jahren“, entgegnet Völker. „Wenn sie es machen wollen, dann nur zu.“ Aus ihrem Umfeld heißt es, solch ein Vorhaben verschlinge mindestens 1,7 Millionen Euro. Und bei der ersten Rechnung vom Olympiastützpunkt werde man sich schon gehörig wundern.

Während Friesinger wohl bald zu den üblichen Verdächtigen der Bunte-Schickeria zählen dürfte, sagt Völker, auf ihre Ambitionen angesprochen: „Es gibt nichts, was ich unbedingt der Außenwelt mitteilen müsste. Das ist nicht mein Ding. Ich bin eher für Sachlichkeit.“ Alles Übersteigerte, jeglicher Schnickschnack scheint aus der auf Pragmatismus ausgelegten Welt der Sabine Völker verbannt. Ein 900-Seiten-Wälzer, den sie neulich bezwungen hat, „hätte auch auf 600 Seiten geschrieben werden können, ganz ehrlich“. Weihnachtsgeschenke wurden gar nicht erst gekauft, weil „ich so ein bisschen gegen das Kommerzielle bin“. Außerdem: „Ich krieg einen Hass, wenn die Leute panikartig in den Regalen wühlen.“

Verhaltene Freude kam indes auf, als gestern etwa tausend Zuschauer in die neue Eislaufhalle kamen, benannt nach Gunda Niemann-Stirnemann. Die Deutschen Meisterschaften wurden ausgetragen, für die Besten allerdings ein lästiger Termin. Weder Friesinger noch die Sprinterin Monique Garbrecht kamen nach Thüringen. Und Sabine Völker trat nur an, weil sie das heimische Publikum nicht verärgern wollte. „Für die Olympia-Nominierten macht dieser Termin eigentlich wenig Sinn“, erklärt sie. Derzeit stehe Krafttraining an. Sie habe zudem einen „Ausdauerblock gesetzt“. Deswegen sei sie überhaupt nicht „zuckig“, wie sich das für eine Sprinterin zieme.

Reaktionsschnell muss sie erst im Februar aufs Eis gehen. Noch hat sie keine olympische Medaille gewonnen. Diesmal sieht es aber recht gut aus. Beim Weltcup in Salt Lake City lief sie auf dem Utah Olympic Oval Weltrekord über 1.000 Meter (1:14,06). Ein weiterer kam im Sprint-Vierkampf dazu. Mit 149,915 Zählern blieb sie als erste Frau der Welt unter der 150-Punkte-Marke. Anni Friesinger hat angekündigt, auch über 1.000 Meter zu starten. Völker: „Kann sie ruhig.“

Es gebe dann doch noch etwas, was sie der Öffentlichkeit mitzuteilen habe: „28 Jahre, Betriebswirtin, Schwerpunkt Controlling.“ Dem wäre hinzuzufügen, dass sie 1,62 Meter groß ist und 56 Kilo wiegt.

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