: Ein Mann und alle Gefühle
■ Tilman Rossmy und der erwachsene, deutschsprachige Pop
Wie weit weg von zu Hause ist man 128 Meter über der Stadt? Groß und fast zu schön liegt hinter den Panoramascheiben Hamburg in der winterlichen Abenddämmerung und wirkt seltsam entrückt. Tilman Rossmy aber, dieser Eindruck stellt sich schnell ein, könnte wohl noch zwei weitere Kilometer höher fliegen, in einem Fesselballon etwa, und würde dort immer noch zu Hause sein. Wenn nur ein zweiter Mensch mit ihm fliegen würde.
Tilman Rossmy ist ein Menschenbeobachter; nein das stimmt nicht ganz, er ist jemand, der sich selbst in einer Gesprächssituation beobachtet, der seine – Achtung, schweres Wort! – Heimat in der Beobachtung gefunden hat, wie andere Menschen auf ihn wirken und was er bei anderen Menschen bewirkt. Vornehmlich bei Frauen natürlich. Aber beispielsweise auch bei Journalisten. Selbst ein aus Promotiongründen angesetztes Gespräch auf der Restaurantebene des Hamburger Fernsehturms kann er noch zur Selbsterfahrung nutzen. „Es ist interessant, sich in solche Situationen zu begeben, man entdeckt überall andere Seiten an sich selbst.“ Woran zu zeigen wäre, daß – dem in Hamburg lebenden – Tilman Rossmy Selbsterfahrung stets über Selbstdarstellung geht. Was nebenbei gesagt auch ganz gut so ist, denn in puncto Selbstdarstellung gibt es weitaus größere Meister, bei der Selbsterfahrung sind wir uns da nicht so sicher.
Willkommen Zuhause, so heißt die Solo-CD des ehemaligen Sängers der Geheimtip-Band Die Regierung, die ab heute käuflich zu erwerben ist. Man muß den Titel nicht programmatisch verstehen. Aber in dem skizzierten Sinn kann man es durchaus. Rossmy erzählt in seinen neuen Songs davon, wie es ist, in Begegnungen zu Hause zu sein.
Ein Sänger verstrickt in alltäglichen Situationen. Beispielsweise fühlte er sich einmal gerade neben einer Frau noch sehr wohl, da fängt sie an, leise an ihm herumzukritisieren. Oder, andere Situation, in einem Café beobachtet er ein Paar, der Typ haut ab, die Frau bleibt sitzen, irgendwann treffen sich die Blicke. Das mag sich banal anhören, aber die Musik spielt dazu den Pop, gemischt mit Folk- und Country-Einflüssen und Rockelementen, daß Rossmys etwas kratzige Stimme zu fliegen anfängt. Und wer nicht weiß, daß gerade solche Situationen – erst war man zusammen, dann ist man allein; oder erst war man allein, dann war man zusammen, dann ist man wieder allein – in Songs ernsthaft behandelt gehören, hat von Pop nicht viel verstanden. Doch, doch, die These sei gewagt: der erwachsene, deutschgesungene Popsong, Tilman Rossmy ist mit Willkommen Zuhause auf dem Weg dahin. Und die drei, vier Lieder, bei denen er sich dann doch verläuft, stören nicht sehr.
„Meine Songs funktionieren dann am besten, wenn ich einfach, in nüchternen Worten beschreibe, was passiert ist.“ So ein Satz, den Rossmy irgendwann im Gespräch fallen läßt, erklärt nun natürlich nicht viel, außer daß er sich sein Material aus realen Begebenheiten holt. Aber er gibt einen Hinweis auf das Projekt, das hinter den auf den ersten Blick möglicherweise einfach nur netten Liedern des Tilman Rossmy steht. Hier begreift sich jemand als Beobachtungsapparat und die Realität als sein Untersuchungsfeld. Und wenn er etwas beobachtet hat, dann macht er einen Song draus, um die eigene Erfahrung mit anderen zu teilen. Auch wenn die musikalischen Mittel manchmal recht reduziert sind, egal! So wurden schließlich schon immer die besten Lieder gemacht.
Ein Mann, alle Gefühle dieser Welt und eine Gitarre (und vielleicht ein paar Freunde, die einen bei der Plattenproduktion unterstützen, Willkommen Zuhause wurde von Bernd Begemann produziert). Für einen musikalischen Ansatz kann das immer noch eine brauchbare Ausgangsbasis sein. Tilman Rossmy nutzt sie zu Exkursionen in die Menschenfreundlichkeit. Schade ist nur, daß seine Platte nicht im Sommer herausgekommen ist.
Dirk Knipphals
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