MIT CHIRACS ABSCHIED GEHT IN FRANKREICH EINE POLITISCHE ÄRA ZU ENDE
: Ein Mann mit Sinn für Symbolik

Wer erinnert sich heute noch an die antifranzösischen Demonstrationen, bei denen Jacques Chirac weltweit ausgebuht wurde? „Hirochirac“ wurde er damals geschmäht, als er kurz nach seinem Präsidentschaftsantritt die Wiederaufnahme der französischen Atombombentests verkündete.

Seither hat Chirac ein anderes Gesicht gezeigt. Am spektakulärsten war sein Einsatz gegen den Irakkrieg. Chirac wagte den französischen Alleingang und die offene diplomatische Konfrontation mit den USA. Damit zeigte er mehr Mut als andere Spitzenpolitiker in Europa. Auch der deutsche Kanzler legte sich erst in einer kritischen Phase seines Wahlkampfes auf eine Antikriegsposition fest.

Chirac war ein Präsident mit Sinn für große symbolische Gesten: Da war seine Einladung an den schwerkranken Jassir Arafat, sich in einem Krankenhaus in Paris behandeln zu lassen. Sein Eintreten für eine Aufnahme der Türkei in die EU. Und nicht zuletzt seine Entscheidung, über die EU-Verfassung in Frankreich ein Referendum durchführen zu lassen. Auch hier bewies die deutsche Spitze weniger Mut. Dass Chirac beim Referendum nicht die von ihm selbst gewünschte Antwort erhielt, hatte weniger mit Chirac als mit dem Charakter und dem Ansehen der EU-Politik zu tun.

Chiracs erste Symboltaten waren innenpolitischer Natur. Sie hatten, wie viele seiner späteren Gesten, viel mit dem französischen Selbstbild und der französischen Sicht auf die Geschichte zu tun. Im Juli 1995 wagte er als erster französischer Präsident, offen von einer Mitverantwortung für die Judendeportationen im Zweiten Weltkrieg zu sprechen. Später folgten sein Wort von der Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sein etwas anderer Umgang mit dem historischen Erbe des Algerienkriegs. Weder links noch rechts hatten seine Vorgänger zuvor Ähnliches gewagt.

Sicher, es gab an Chiracs Außenpolitik auch viel zu kritisieren: seine Unterstützung für autoritäre Regime in Afrika etwa. Und sein Festhalten an einer atomaren Doktrin, die aus der Zeit des Kalten Krieges stammt. In diesen beiden Punkten aber ist von den aussichtsreichsten Kandidaten auf seine Nachfolge kaum eine Kurskorrektur zu erwarten. DOROTHEA HAHN