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Ein Mann in Schwarz

Der Osnabrücker Bildkünstler Hendrik Spiess hat sich der Ge­sell­schaftskritik verschrieben. Eines seiner Hauptthemen ist die Zerstörung der Natur

Fotografisches Selbstporträt mit gemalten Haien: Hendrik Spiess vor einem Gemälde seiner Pool-Serie Foto: Hendrik Spiess

von Harff-Peter Schönherr

Hendrik Spiess ist ein Mann mit einer Mission. Wer den Bildkünstler besucht, in Osnabrücks ältester Ateliergemeinschaft an der Wachsbleiche 62, unter Neonröhren und Lichtbändern aus Glasbausteinen, inmitten eines planvollen, archivartigen Schatzkammer-Chaos aus Fundstücken, die für irgendwas sicher irgendwann mal gut sind, spürt das sofort.

Seit den 1980ern arbeitet Spiess in dieser präindustriellen Atmosphäre, und die scharfen Blicke, die er auf die Gesellschaft wirft, sind stets kri­tisch, furchtlos und produktiv verrätselt. Ernst und Empörung liegen ihnen ­zugrunde. Verstörung findet statt, ­Rebellion. Underground ist nicht fern.

Es ist immer ein wenig kühl hier, im Winter oft auch arktisch kalt; der riesige Raum ist schwer zu heizen. Und das passt: Was hier entsteht, antwortet auf die zunehmende Kälte, die unser Zusam­menleben gefährdet. Spiess setzt ihr ein inneres Brennen entgegen, und jede seiner symbolistischen Installationen, jede seiner fotorealistischen Naturzeichnungen, jedes der oft sehr groß­for­matigen, oft sehr albtraumhaften Öl- und Acryl-Gemälde seines „magischen Realismus“ ist davon durchdrungen.

Spiess, 65, analysiert und sensibilisiert, mahnt und fordert zum Handeln auf. Jüngst hat er seine Serie von Pool-Bildern erweitert: Haie durchpflügen ein leeres Schwimmbad, in einer elegisch-samtigen Nacht. Haie, zeigt das, gibt es überall unter uns. Überhaupt: die Natur. Spiess, geboren in Dinklage, in der erzkatholisch-ultrakonservativen Provinz der norddeutschen Tief­ebene, und früh in Fundamentalopposition gegen sie, hat sie zu einem seiner Hauptthemen gemacht. Und das ist nicht nur eine Attitüde wie bei vielen, die sich Begriffe wie Umwelt und Nachhaltigkeit nur deshalb auf die Fahnen ­schreiben, weil sie gerade im Trend liegen. Spiess ist seit Jahrzehnten kämpferisch im Natur- und Artenschutz verwurzelt, derzeit besonders stark pro Wolf.

Er erkennt viele Vögel an Ruf und Flug, führt das Gesetzbuch gegen Frevler in die Schlacht, war Ende der 1970er im wendländischen Gorleben Teil der Anti-Atomkraft-Proteste. Wenn jemand wie er 2023 für sein ökologisches Partizipativ-Projekt „As far as the eye can see“ einen toten Wald in die Osnabrücker Galerie „KunstGenuss“ baut, darin Wildkamera an Wildkamera, totale Überwachung statt Rückzugsraum, hat das Gewicht.

Spiess, früher Lithograf und Mediengestalter, ist seit Langem freischaffender Künstler. Oft ist er ein Mann in Schwarz, und nur sein Navajo-Schmuck sticht dann farblich heraus, in Silber und Türkis, denn Kunst hat Spiess, fasziniert von der Naturnähe indigener Völker, nicht nur in Norddeutschland betrieben.

Das Schwarz trage er „natürlich auch als Protestfarbe“, sagt er. „Das war schon früher so. Wir wollten uns unterscheiden. Also haben wir in ­Secondhand-Läden zum ­Kilopreis diese schwarzen Konfirmations- und Beerdigungsanzüge aus den 1950ern gekauft.“ Und, wenn möglich, schwarze Schuhe mit Spitze dazu. Klar sei das auch Mode gewesen, „aber eben alternativ.“ Ach ja: Schwarzen Humor zelebriert er auch.

„Wir wollten uns unterscheiden. Also haben wir in ­Secondhand-Läden zum ­Kilopreis schwarze Konfirmations- und Beerdigungsanzüge aus den 1950ern gekauft“

Hendrik Spiess, Künstler

Spiess mag Dinge mit Vergangenheit: Nebenbei renoviert er altes Mobiliar. Rundkappen-Dr.-Martens trägt er übrigens auch gern. Als Reminiszenz an die Arbeiterklasse, an die linken, kapitalismuskritischen Red-and-Anarchist-Skins. Punk hat Spiess nämlich früher auch gespielt. Bass und Gesang. Plus Selbstgetextetes. „Links war ich immer“, sagt er. Seit der Jugend in „graubrauner Enge und Spießigkeit“, so hat er den Landkreis Vechta erlebt. „Erst haben wir die Leute durch die Länge unserer Haare schockiert, danach durch deren extreme Kürze.“ Später ist Spiess auf Pop umgestiegen. „Das hat mich stärker gereizt. Musikalisch war es einfach weit komplexer.“

Dann erzählt er. Von The Clash und The Stranglers, von Joy Division, Radiohead und den Simple Minds. Und von David Bowie, der die damalige Generation durch seine Stilisierung stark beeinflusst habe. Nicht nur Kunst und Natur hängen bei Spiess zusammen, auch Musik und Kunst.

Ende September ist Spiess mit „The wound that always bleeds“ Teil des deutsch-niederländischen Projekts „Mutation“, das sich von Installation und Malerei bis Druckgrafik und Objektkunst erstreckt. Spiess zeigt ein wandgroßes Gemälde, einen Blick auf einen Computerscreen: „Ich weise auf einen Sozialwandel hin“, sagt er dazu: Auf dem Bildschirm finden sich beklemmende, teils extrem private Social-Media-Chatmessages von Menschen auf dem schmalen Grad zwischen Minder­jährigkeit und Jugendlichkeit. Er sieht sie als „Schutzlose, vor dem Rechner Vereinsamte, un­reflektiert, konsumzerfressen, nur noch verstümmelter Sprache fähig, mit einer Obsession für imaginären Glamour“, und so weiter. Na ja. Ein bisschen ein Schwarzmaler ist er eben auch.

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