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Ein Lied über das Film-Auge

■ Zwei Hamburger begaben sich auf die Spuren des Filmpioniers Dziga Vertov

Riesige Räder in Großaufnahme, die sich langsam in Bewegung setzen, rasende Lokomotiven. So beginnt die Filmexpedition, die die Hamburger Dokumentarfilmer Thomas Tode und Ale Muñoz zugleich in die Vergangenheit des Films wie ins nachkommunistische Rußland führte. Gewidmet ist sie dem Filmpionier Dziga Vertov, der von Maschinen aller Art und vor allem von Eisenbahnen fasziniert war. Heute abend ist Im Land der Kinoveteranen – Filmexpedition zu Dziga Vertov im Metropolis zu sehen, im weiteren Verlauf der Kinowoche folgen die Dziga-Vertov-Filme Donbass-Sinfonie, Enthusiasmus und Drei Lieder über Lenin.

Züge hat Dziga Vertov seit den 20er Jahren immer wieder gefilmt, aus den verschiedensten Perspektiven getreu seinen Manifesten: „Ich bin Film-Auge. . . . Ich nähere mich und entferne mich von den Gegenständen, ich krieche unter sie, ich klettere auf sie, ich bewege mich gleichsam mit dem Maul eines galoppierenden Perdes.“ Stellvertretend für ihn selbst ist seine Kamera sogar unter fahrende Züge gekrochen. Die erst auf den Betrachter zurasende, ihn dann überfahrende Lokomotive ist zu einem Markenzeichen Vertovs geworden, zu dessem bekanntesten Filmen Der Mann mit der Kamera zählt.

Nach der Oktoberrevolution war Dziga Vertof auch viel mit dem Zug unterwegs, mit dem Propagandazug der Bolschewiki. Bis in die entferntesten Regionen des neuen sowjetischen Reiches brachte er Bilder von Lenin. Schon da, vor allem aber auch später mit der Filmgruppe Kinoki revolutionierte er die Filmkunst, indem er ihr den Psychologismus austreiben wollte – daß seine Filme nicht die Seele umgrüben, war der Hauptvorwurf, den sein Schüler Eisenstein ihm später machen sollte. Noch später, unter Stalin, verfiel seine Arbeit dem damals durchaus nicht ungefährlichen Formalismus-Vorwurf.

Thomas Thode und Ale Muñoz begeben sich in ihrem Filmessay auf die Spuren Vertovs, indem sie das montieren, was von seinem Wirken – über die erhaltenen Filme hinaus – noch real auffindbar ist. Ihr Film ist das Dokument einer Recherche in die Vergangenheit. Sie reisen nach Moskau, natürlich mit dem Zug. Sie schneiden Originaldokumente aneinander. Sie lassen sich vom Alltag der russischen Hauptstadt treiben und versuchen, sie mit den Augen Vertovs zu sehen. Und sie sprechen mit Vertov-Forschern und mit ehemaligen Weggefährten, wobei diese Szenen – von einer stark zurückhaltenden, uninszeniert registrierenden Kamera festgehalten – in starkem Kontrast zur Filmästhetik Vertovs stehen. Der Einfluß des Hamburger Dokumentarfilmers Klaus Wildenhahn, der den Film mitproduzierte, ist hier am stärksten spürbar.

Einmal war Vertov auch in Hamburg. Auch zu dieser Episode haben Thode und Muñoz Bilder gefunden. Das war im Jahre 1933, wo noch im September der Film Enthusiasmus in der vollbesetzten Schauburg gezeigt wurde, in dem damals größten Hamburger Kino an der Reeperbahn. Ein paar Tage später wurde der Film dann von den Nazis verboten.

An manchen Stellen lassen sich Thode und Muñoz allzu sehr von der Euphorie anstecken, die Vertovs Arbeiten selbst stets ausgemacht haben. Vielfältige Facetten dieses faszinierenden Filmpioniers hat ihre Filmexpedition aber zuhauf zutage gefördert. Was will man von einer Expedition anderes erwarten? Dirk Knipphals

„Im Land der Kinoveteranen“: heute, 19 Uhr, in Anwesenheit der Filmemacher; „Dinbass-Sinfonie/Enthusiasmus“: So, 14. 1., 19 Uhr; „Drei Lieder über Lenin“: Mi, 17. 1., 17 Uhr; alle im Metropolis

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