Ein Liebeslied: „Wicked Game“ (1989)
Mit Liebeskummer macht man selten eine gute Figur. Da vergräbt man sich im Zimmer und nimmt Unmengen von Kassetten mit trauriger Musik auf, oder stolpert auf der Straße gedankenverloren über kleine Kinder. Wie gut, wenn man sich da an jemanden halten kann, der das Leiden zu kultivieren weiß. Chris Isaak ist so einer.
Mitte der Achtzigerjahre tauchte er auf, wie ein Geist, der sich seit den Fünfzigern in einem Kellerarchiv voller alter Rock ’n’ Roll-Platten versteckt gehalten hatte und dort auf sagenhafte Weise seine Jugend konservieren konnte. Er sah unverschämt gut aus, als wäre er schon in Jeans, Holzfällerhemd und mit Tedtolle auf die Welt gekommen, ein Schönling mit der Anmutung eines James Dean. Nach dessen Vorbild stilisierte sich Chris Isaak zum romantischen Desperado.
Sein drittes Album hieß „Heart Shaped World“. Auf dem Cover sieht man ihn in einem billigen Motelzimmer, mit gefalteten Händen auf dem Bett sitzend, im Hintergrund ein Waschbecken. Die Trostlosigkeit ist mit Händen zu greifen, und sie ist so schlicht wie schön, wie immer bei Chris Isaak. „Heart Shaped World“ ist Isaaks dunkelste Platte, die meisten Stücke scheinen gefärbt vom Wissen um die Vergeblichkeit der Liebe, die Zwangsläufigkeit des Scheiterns. Die Liebe ist, so formuliert es Chris Isaak in „Wicked Game“, ein ganz schön vertracktes Spiel.
Bang beschwört Isaak darin eine ausweglose Situation: „The room was on fire / And no one could save me but you,“ doch wehrt er sich offenbar gegen diese Erkenntnis. „No“, singt er, „I don’t wanna fall in love with you.“ Aber man weiß: Dazu ist es längst zu spät. Der Tonfall legt nahe, dass er seinen Gefühlen längst hoffnungslos erlegen ist. Der Punkt, an dem eine Umkehr möglich gewesen wäre, ist lange überschritten. Was jetzt kommt, ist unausweichlich Schmerz. Ein süßer Schmerz, natürlich.
Das Musikvideo zu „Wicked Game“ stammte von Herb Ritts, dem Modefotografen. Es zeigte ein bemerkenswert schönes Paar, zwei Models natürlich, die sich an einem tropischen Strand in den Armen liegen, wobei sich die Frau, aus der Umarmung herauswindend, stets dem Zugriff zu entziehen scheint. Schöne Körper, gepflegtes Leiden. Das Ganze hätte gut zu einer Parfümreklame gepasst, für die Herb Ritts ja auch oft engagiert wurde, für „Obsession“ etwa oder „Passion“.
Mag sein, dass die Nase das Organ ist, das über erotische Anziehung entscheidet; „Wicked Game“ ist jedenfalls das musikalische Pendant zur olfaktorischen Verführung. Allerdings wartet Chris Isaak beim Schlussakkord mit einer pessimistischen Wahrheit auf: „Nobody loves no one.“ Liebe, so Isaak, bedeutet Höllenqualen, und es gibt keine Hoffnung auf Erlösung.
„Wicked Game“ wurde berühmt, weil der Song in David Lynchs „Wild at heart“ auftauchte. Der Film war ein grell überzeichnetes Melodrama. Obwohl weitaus subtiler, wirkte auch Chris Isaaks Leidenspose stets so dick aufgetragen, dass man sich fragte: Meint er das wirklich ernst? Auf die Frage indes, ob er seine tieftraurigen Texte selber schreibe, antwortete er einmal: „Nein. Ich habe jemanden angestellt, der für mich leidet.“
Daniel Bax
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