Ein Konzern macht Werbung: Googles Wunderland
Google lud zur Pressekonferenz, die aber keine richtige sein wollte. Statt Fragen zu erlauben, gab's lange Statements. Bis den Journalisten der Kragen platzte.
Nach anderthalb Stunden Vortrag häufen sich die ungläubigen Blicke auf die Uhrenanzeigen der Smartphones. Schon der vierte Referent gibt seine Argumente zur rechtlichen Unbedenklichkeit von Google Street View zum Besten. Zwei weitere sollen noch reden. Da wird es den etwa hundert wartenden Journalisten zu viel. Erbost drängen sie darauf, das tun zu dürfen, weswegen sie gekommen waren: Fragen stellen.
Einer sagt, wie "dreist es eigentlich von Google ist, zu einer Pressekonferenz zu laden und Journalisten keine Fragen stellen zu lassen".
Dann darf gefragt werden. Kurz.
Google hatte aufgrund der aktuellen Diskussionen rund um Google Street View in Deutschland zu einer Presseveranstaltung geladen, die alle Bedenken aus dem Weg räumen sollte.
Für Google Street View fahren Autos und Fahrräder seit 2008 durch Deutschland und fotografieren Straßen und Häuser. Die sind dann dreidimensional im Internet zu sehen. Problem: Wird dabei zufällig ein Mensch fotografiert, steht er im Zweifelsfall für immer im Netz.
Die Redner wollten diese Bedenken zerstreuen. Ein Rechtsprofessor argumentierte, es gebe keine Verknüpfungen zwischen Fotografie und Namen der aufgenommenen Person.
Der Produktmanager hat noch eine Vision: "Menschen, die sich Reisen nicht leisten können, an tolle Orte bringen zu wollen." Das lässt sich prima mit der derzeit laufenden Hartz-IV-Debatte verbinden.
Google Street View habe außerdem eine "tolle Partnerschaft mit der Unesco", um "schützenswertes Erbe für alle zugänglich zu machen". Das ist nobel.
Die Journalisten wissen nun auch, dass der Produktmanager extra aus der Schweiz gekommen sei, weil er es so schade findet, dass in Deutschland über etwas diskutiert wird, was keiner kennt. Wir erfahren auch, wo eine gute Brasserie in Zürich zu finden ist und vor allem: wie praktisch das neue Google-Handy Nexus ist, wenn man dort hin will.
Der Leiter der Google-Rechtsabteilung in Deutschland kommt auch noch zu Wort. Er sagt, dass er selbst mit den Herren von der Google-Entwicklung immer so seine Probleme habe, wenn sie wieder tolle Ideen hätten, welche die Juristen dann erst prüfen müssen.
Die Ansprachen von Google wirken fürsorglich, man könnte fast den Eindruck gewinnen, erst das Unternehmen selbst hätte die Debatte über den Datenschutz aufgebracht. Mittlerweile sei man dazu übergangen, alle Gesichter und Nummernschilder zu verpixeln, die in den abgebildeten Straßenzügen erkenntlich sind, sagen die Vortragenden immer wieder. Und jeder deutsche Bürger könne sein Haus aus dem Programm löschen lassen, bevor es freigeschaltet wird.
Der Rechtsprofessor hat auch ein von Google bezahltes Gutachten dabei. Laut dem ist Google Street View datenschutzrechtlich unbedenklich. Na dann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind