Ein Kommentar von Jürgen Lessat : In der juristischen Scheinwelt
Stuttgart 21 würde er nicht noch einmal beginnen, sagte Rüdiger Grube im März dieses Jahres. Der Grund für das offene Bekenntnis des Bahnchefs: Der Tiefbahnhof rechnet sich für den Konzern nicht, wenn sich die Kosten von bis zu 6,8 Milliarden Euro „materialisieren“. Grubes Worte sagen nichts anderes als: Die Bahn wird nichts an Stuttgart 21 verdienen, sie zahlt vielmehr drauf, noch bevor ein Tunnelmeter gebohrt ist. Dennoch wird weitergebaut, weil ein Ausstieg angeblich mehr kostet. Dabei sind die Ausstiegskosten nachweislich falsch, weil zu hoch angesetzt. Jeder ehrliche Kaufmann würde derartige Geschäfte und Geschäftsgebaren ablehnen. Erst recht, wenn sie gegen Aktienrecht und Strafgesetz verstoßen. Die Staatsanwaltschaft Berlin sieht dennoch keine Anhaltspunkte für Untreue oder Betrug durch Manager und Kontrolleure des Bahnkonzerns. Vorsatz und Eigeninteresse sind nicht nachweisbar; Schaden, wenn überhaupt, ist noch nicht eingetreten – so lauten die juristischen Argumente für die Einstellung der Vorermittlungen.
Diese Begründung ist durch höchstrichterliche Urteile und professorale Rechtskommentierungen gedeckt. Dies passt jedoch nicht mehr in unsere Zeit, in der Großprojekte anfangs nicht nur finanziell, sondern auch hinsichtlich technischer, verkehrlicher oder sozioökologischer Ansprüche schöngefärbt sind. In Berlin, Hamburg und Stuttgart wurden und werden wahre Kosten, mögliche Folgen und Schäden erst Jahre oder Jahrzehnte nach Baustart gerichtsfest „beweisbar“. Juristen und Justiz agieren so zwangsläufig in einer juristischen Scheinwelt. Von Bürgern und Bürgerbewegungen, die vor Ort näher an den Realitäten recherchieren, sind Straftaten in Führungsetagen dank „unternehmerischer Ermessenspielräume auf Grundlage angemessener Information“ oder schlicht wegen Geheimhaltung kaum zu beweisen. Staatsanwälte könnten dies, wenn sie Aufsichtsratsprotokolle einsehen, Gutachten prüfen und Zeugen einvernehmen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Fehlt dieser, nennt man das wohl Politik.