: Ein Katholik als wilde Blume
■ Konservativ: Die Homo-Visionen des Andrew Sullivan
Es ist der letzte Satz. Gut so. Denn was Andrew Sullivan ans Ende seines Buches setzt, ist von solch ergreifender Schlichtheit, daß es als Motto ganz vorn wohl viele Leser abgeschreckt hätte. Homosexuelle seien schön wie die „wilden Blumen, die da und dort zwischen unserem Weizen blühen“. So gemütlich geht es sonst nur im Poesie-Album zu.
Eigentlich ist der katholische Intellektuelle nicht für solche schmalzigen Sprüche bekannt. Der frühere Chef des Washingtoner New Republic gilt auf beiden Seiten des Atlantiks als provokanter Polit-Journalist. Ein Liberal-Konservativer, der selbst eine „wilde Blume“ ist, also schwul. Sein Buch „Völlig normal“ will beschreiben, „wie wir als Gesellschaft mit jener kleinen, mitten unter uns lebenden Minderheit umgehen“.
Das hört sich größer an als es gemeint ist. Denn Sullivan hat auch kein Patentrezept. Er macht aber klar, daß er sich eine realpolitische Herangehensweise wünscht. Diese destilliert er aus einer Analyse von vier „Denkrichtungen“, die jeweils „eine besondere Lösung für das Problem der Beziehungen zwischen Homo- und Heterosexuellen“ anbieten. Sullivan unterscheidet zwischen „Prohibitionisten“, „Liberationisten“, „Konservativen“ und „Liberalen“, um am Ende für eine zurückhaltende Bürgerrechtsstrategie zu plädieren.
Die ganz harten, die „Prohibitionisten“, die ihre Anti-Haltung aus der Bibel ableiten, erledigt Sullivan ganz schnell. Die stellten die Homosexualität als große Bedrohung für die „auf Fortpflanzung gerichtete Sexualität“ dar, seien aber bei „Onanie, Ehebruch, vorehelichem Sex, Scheidung, Empfängnisverhütung und Unfruchtbarkeit“ keineswegs so konsequent. Der Rechtsaußen Pat Buchanan habe ja auch keine Kinder! Warum bitte solle dann dessen „Sexualleben“ weniger sündig sein, als das von Schwulen?
Ganz hübsch. Doch leider benutzt Sullivan den Holzhammer auch bei der Beschreibung all jener, die links von ihm kämpfen. Er entwickelt quasi eine Totalitarismustheorie für die Homopolitik. Die „Liberationisten“, also die außerparlamentarischen Radikalen, die militanten ACT UP-Aktivisten etwa, stellten ein „Zerrbild“ der „Prohibitionisten“ dar. Ihre „antipolitische Politik“ sei bloß an der „Unterminierung bestehender Strukturen“ interessiert und schrecke die Heteros ab.
Kein Wunder also, daß Sullivan sein Heil im Liberal-Konservativen sucht. Bei den Konservativen nämlich will der Autor die Tendenz „zu einer Einbindung verantwortungsbewußter schwuler Bürger“ entdeckt haben. Leute wie Sullivan gefallen den Konservativen vermutlich deshalb so gut, weil sie „Antidiskriminierungsgesetze“ ablehnen: Solche Gesetze seien, so der Autor, nicht nur ein Affront für die Mehrheit, sie könnten auch ganz subtil „in der Minderheitenkultur eine Passivität perpetuieren“ und die Kräfte der „Selbstbefreiung“ lähmen.
Sullivan setzt lieber auf eine Politik, die „die Freiheit der Bigotten nicht beschneidet“. Eine entschärfte Homo-Bürgerrechtspolitik also, die es in den USA schon seit Anfang der 80er Jahre gibt und die auch hierzulande immer mehr dominiert. Sullivan hat es mit den höheren Weihen: Er schreibt dem Zugang von Schwulen und Lesben zur Ehe und zum Militär („angesehene Institution“) fast schon eine Zauberwirkung zu. Wenn die Schwulenehe, die „höchste öffentliche Anerkennung der persönlichen Integrität“, erst durchgesetzt sei, dann „wären neunzig Prozent der Arbeit [...] getan“.
In seinem Beharren auf „strikte staatliche Neutralität“ bleibt Sullivan ein Schwärmer: „Was dem Leben vorbehalten ist, kann nur das Leben selbst leisten.“ Amen. Oder besser: Liberallala. Hans-H. Kotte
Andrew Sullivan: Völlig normal. Ein Diskurs über Homosexualität, Kindler Verlag, München 1996, 224 Seiten, 34 Mark.
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