■ Ein Kämpfer des „Kroatischen Verteidigungsrates“, HVO, über seine Erfahrungen im muslimisch-kroatischen Krieg um die Herzegowina und die Hoffnung auf Frieden: Ein unnötiger Krieg
West-Mostar (taz) – „Völlig unnötig“, sei der Krieg gewesen, „wir Kroaten und die Muslime in Bosnien-Herzegowina haben doch niemals in der Geschichte Probleme miteinander gehabt.“ Mirko Polić* schüttelt den Kopf. Seit fast zwei Jahren ist er Mitglied des „Kroatischen Verteidigungsrates“, HVO, hat an vielen Fronten gekämpft – zuletzt erneut in Mostar, wo er nach einer Verwundung die Aufgabe hatte, Nachschub für die „erste Linie“ zu organisieren.
Polić ist offensichtlich froh, daß er jetzt wieder offen seine Meinung über die Unnötigkeit des muslimanisch-kroatischen Kampfes aussprechen darf. Mit den Gesprächen über eine Föderation dieser beiden Völker ist eine neue Offenheit eingekehrt. Selbst in den staatlich kontrollierden Massenmedien Kroatiens und im Fernsehen der selbsternannten „Kroatischen Republik Herceg-Bosna“ werden die Muslime nicht mehr als blutdürstige Feinde hingestellt.
Polić erinnert sich an den Beginn des Krieges. „Wir westherzegowinischen Kroaten wußten nach dem Krieg in Kroatien schon, was von serbischer Seite aus auf uns zukommt. Deswegen haben wir uns auch vorbereitet. Dagegen haben die meisten Muslimanen geglaubt, den Frieden bewahren zu können.“ Schon vor dem April 1992 sei er, der aus dem Wallfahrtsort Medjugorje stammt, zu geheimen Wehrübungen eingezogen gewesen. „Daß es aber dann so hart kommen würde“, hätte er nicht geahnt.
Den serbischen Freischärlern war es im April 1992 gelungen, die Kontrolle in und um Mostar zu übernehmen. „Dabei gab es nur 19 Prozent Serben in der Stadt“, betont Polić. Noch immer muß er schmunzeln, wenn er sich erinnert, wie Kroaten und Muslimanen ab Juni gemeinsam zum Gegenangriff übergingen. „Damals war die Religion vollkommen gleichgültig, keiner fragte: Bist du Katholik oder Muslim? Wir wollten nur gemeinsam den Feind vertreiben und nach Stolac und Trebinje vorstoßen. Es ging uns darum, die Gegenden mit kroatisch-muslimischer Bevölkerungsmehrheit wieder zu befreien.“ Tausende von Vertriebenen seien damals in die Herzegowina gekommen, vor allem Muslimanen. „Sie wurden alle gut aufgenommen.“ Auch die Kämpfer der „Kroatischen Verteidigungsorganisation“ (HOS), der bewaffneten Organisation der rechtsradikalen „Partei des Rechts“ (HSP) waren damals mit von der Partie. „Es ging nicht um Weltanschauung, es ging darum, Mostar zu befreien.“ Und unter dem Befehl des muslimischen Offiziers Jasmin Jaganjac sei ihnen der Gegenangriff auch gelungen. „Es war ein echter Sieg, als Mostar Ende Juni befreit wurde.“
Fortan saß die serbisch-bosnische Armee auf den Bergen um die Stadt und beschoß sie mit Artillerie. Mit bloßem Auge konnte man die Stellungen erkennen. „Die Spannungen zwischen Muslimen und Kroaten tauchten aber schon bald auf, es ging den Politikern um die Macht in der Stadt.“ Bei den normalen Leuten wäre damals noch nichts zu merken gewesen. Doch plötzlich wollte die bosnische Armee den Oberbefehl, und der Führer der westherzegowinischen Kroaten, Mate Boban, wollte Mostar zur Hauptstadt Herceg-Bosnas machen. In der HVO aber kämpften Muslime und Kroaten noch zusammen.
Polić wurde im Herbst 1992 versetzt, nach Tomislavgrad, dem ehemaligen Duvno im Norden der Herzegowina. „Von dort kontrollierten wir den Weg nach Zentralbosnien“, berichtet er. Die Führung der HOS war inzwischen ausgeschaltet worden, und Mate Boban hatte sich scheinbar als unbestrittener Führer der bosnischen Kroaten etabliert. „Obwohl die Westherzegowina nur 170.000 Einwohner hat und in Bosnien 600.000 Kroaten leben, haben wir die Politik für die Kroaten bestimmt – nicht etwa Stjepan Kljuić, der Führer der Kroaten in Sarajevo.“ Am Kuprespaß seien die Kämpfe mit den Serben abgeflaut. „Seit es die Gespräche zwischen Boban und dem Serbenführer Radovan Karadžić gab, war der Krieg mit den Serben in Bosnien mehr oder weniger vorbei. Ab Februar 1993 haben wir dann nicht mehr gegeneinander gekämpft. Nur in Ostbosnien noch, bei Brćko und Doboj. Aber da war ich nicht dabei“, erzählt der HVO-Soldat.
Er blieb in Tomislavgrad, von wo aus er beobachten konnte, wie die kroatische Artillerie im Januar 1993 vom Kuprespaß nach Gornji Vakuf verlegt wurde. „Die bosnische Armee wollte uns den Weg nach Zentralbosnien abschneiden, sie wollten die Kontrolle in Travnik übernehmen.“ Schon vorher hätten die Kroaten nur einen kleinen Teil der für Bosnien bestimmten Waffen durchgelassen, ab diesem Zeitpunkt dann nichts mehr. Polić betont, für ihn selbst sei der Beginn des offenen Krieges zwischen Muslimanen und Kroaten ein Schock gewesen. „Ich habe doch viele Freunde unter den Muslimanen“, sagt er. Im April letzten Jahres traten die Kämpfe in ihre heißeste Phase ein.
„Es gab wohl einige unter uns, die an Verbrechen teilgenommen haben. Und es gab manche, die Autos und andere Elektrogeräte aus den umkämpften Gebieten nach Tomislavgrad brachten. Die hatten sie den Leuten geklaut.“
Mehr möchte Polić nicht sagen, gibt vor, über das Massaker von Ahmići und andere Greultaten der HVO nichts zu wissen. Die Kollegen meinten damals trotz seiner eigenen Warnungen, die Muslimanen seien keine guten Kämpfer und der Krieg bald entschieden. Polić erklärt das Kriegsziel der westherzegowinischen Kroaten: „Unsere Führung wollte die militärische Kontrolle über alle Gebiete bis zur Linie Travnik-Kiseljak übernehmen.“ Aber die kroatische Strategie habe wegen der Überheblichkeit nicht funktioniert, „die bosnische Armee hat uns sogar bedrängen können.“ Er selbst wurde nach Konjic abkommandiert und war später dort verwundet worden. „Ein Beinschuß“, sagt er lapidar.
Als dann die ersten kroatischen Vertriebenen aus Zentralbosnien gekommen seien, sei die Stimmung in der HVO immer aggressiver geworden. „Ende Juni liefen auch noch über 300 muslimische HVO-Kämpfer in Mostar zur bosnischen Armee über. Da gab es kein Halten mehr“, sagt er. Damals hörte Polić von einer muslimischen Familie aus Mostar, daß auch sein bester Freund und ehemaliger Mitkämpfer in einem der Lager bei Čapljina, genauer in Gabela, gefangengehalten worden sei. Genauso wie alle muslimanischen Männer zwischen 16 und 60. Erst später hatte er für den Freund etwas tun können, mittlerweile sei dieser in Deutschland.
Sein Gesicht verdunkelt sich, als er erzählt, daß in den Bezirken Čapljina und Stolac fast alle muslimischen Familien vertrieben wurden. Das sei ein Fehler gewesen, „aber schließlich wurden auch Kroaten vertrieben. Es gab böses Blut auf beiden Seiten.“ Er selbst sei erst im Herbst 1993 nach Mostar gekommen. „Da war auch hier schon alles vorbei, die Muslimanen sind jetzt in Ost-Mostar.“ Manche kroatischen Flüchtlinge hätten sich in den Wohnungen der Muslime breitgemacht. „Es gibt viele scheußliche Geschichten. Aber es war Krieg. Hoffen wir, daß mit dem Waffenstillstand wenigstens der Friede zwischen uns und den Muslimanen kommt.“ Erich Rathfelder
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