Ein Käfig voller Tunten

In den Doku-Soaps der Privatsender planen Homosexuelle Hochzeiten, kochen auf Sterne-Niveau und dekorieren die Tafel festlich. Warum Schwule im Fernsehen meist als hysterisches Stereotyp vorkommen

VON INA FREIWALD

„Mon dieu!“, ruft ProSieben-Weddingplaner Frank Matthée und macht ein graziles Hüpferchen. Auf dem Weg zur nächsten Hochzeits-Location ist der Kreative fast über ein frisch erlegtes Wildschwein gestolpert. Leicht schmollend verkündet er: „Ich fang gleich an zu heulen.“ Was jeder Zuschauer dem scheinbar ach so zart Besaiteten unbesehen glaubt. Denn seit „Fronck“ das Pop-Pärchen Sarah Connor und Marc Terenzi mit Fantasien aus fünfzig Blumenmädchen in rosa Tüll, Eisschwänen und Ausrufen wie „Isn’t it köstlich?“ zum Traualtar bugsierte, darf der Schöngeist pro Woche zehn Pärchen mit seinen Spleens verwöhnen.

Beim „Perfekten Dinner“ auf VOX serviert derweil der Ante „Schokomalheur in der Hippe“, die Krönung des Düsseldorfer Siegermenüs. Seine 35 Punkte streicht der Sachbearbeiter einer Krankenkasse aber nicht allein für Kochkünste ein, gelobt werden auch die schicke Tischdeko, die mit Silberstaub verzierten Kochmützen für die Gäste und der umwerfende Charme seiner „Frau des Hauses“, der üppig gepuderten Dragqueen Tatjana.

Seitdem die Sendung im November 2005 auf VOX gestartet ist, entführt sie jede Woche in die bizarren Küchenwelten von selbsterlegten Rehbraten servierenden Managern, mit Dosenmatsch kämpfenden Reiseleiterinnen und auf Michelinsterne-Niveau brutzelnden Hausfrauen, wobei in fast jeder der fünfköpfigen Gruppen auch mindestens ein homosexueller Hobbykoch mitwerkelt.

Doch trotz wachsender Präsenz entsprechen Homosexuelle in aktuellen Doku-Soaps noch immer einem hüftschwingenden, hysterisch kreischenden Stereotyp aus „Ein Käfig voller Narren“, das auch mit Federboas umschlungene, täschchenschaukelnde Burschenschaftler bei einer Verkleidungsparty bedienen. So gerät im VOX-Buddelspaß „Ab ins Beet“ ein Homo-Pärchen über die Goldfarbe der Regenrinne ihres Gartenhäuschens in einen haltlosen Zickenstreit, für „Unser Traum vom Haus“ auf demselben Sender verzaubert eine Gruppe kreativer Frisöre das Klohäuschen im Dortmunder Westpark in einen Trendsalon mit integriertem Seerosenwasserfall, während Dirk Bach für seine neue RTL-Show „Die Promi-Küche“ putzmunter mit seinem Bollerwagen zur Kochsession beim Kollegen Georg Uecker eilt.

„Ach, guck mal, denken da die Zuschauer. So leben sie also, diese Paradiesvögel“, sagt Ulf Meyer, TV-Experte des Hamburger Schwulenmagazins Hinnerk. „Sie kochen wie Mutti, leben und kleiden sich stylish, sind erfolgreich, stets frisch geduscht, adrett frisiert – und ein bisschen verrückt sind sie auch. Leider ein ziemlich überzeichnetes Bild, das das Fernsehen uns da vorsetzt.“

Wer sind sie denn, diese Leute? Gibt es keine kritischen Homosexuellen in den Kreativteams der führenden deutschen Produktionsfirmen? Diesbezügliche Anfragen werden düpiert abgewiesen. Der Geschäftsführer der Produktionsfirma Granada („Let’s Dance“, „Das Perfekte Dinner“), Stefan Oelze, lässt von seiner Assistentin Diana Beatovic ausrichten: „Wir arbeiten in unserer Branche ständig mit kreativen Köpfen zusammen, und das Thema, ob jemand schwul ist oder nicht ist, spielt in der kreativen Entwicklung einfach überhaupt keine Rolle.“ Die Sprecherin von Brainpool („Stromberg“), Katja Plüm, räumt ein: „Sicher haben wir in der Medienbranche mehr homosexuelle Kollegen als in weniger offenen, toleranten Bereichen.“ Doch mehr Zugeständnisse will sie nicht machen. „Wer hier was kann, der macht was – völlig unabhängig von seiner sexuellen Ausrichtung.“

Selbst Uli Hamacher, Mitarbeiterin der von Alfred Biolek, Dirk Bach und Ralph Morgenstern gegründeten Pro GmbH („Blond am Freitag“, „Menschen bei Maischberger“) zitiert die Geschäftsführung mit: „Kein Kommentar.“

Wie scharf und fetzig der Blick eines Homosexuellen auf die Gesellschaft sein kann, beweist unter anderem die ProSieben-Serie „Desperate Housewives“ aus der Feder von Produzent Marc Cherry, einst auch Schöpfer der „Golden Girls“. Nach seinen Inspirationen gefragt, antwortete er: „Als schwuler Mann trifft man sich mit Männern, von denen man später erfährt, dass sie verheiratet sind. Ich bin konservativ genug, mich davon entsetzen zu lassen.“ Aber was ist mit dem Blick der schwulen Macher auf sich selbst?

Axel Schock, Autor („Out im Kino“) und Filmexperte: „Ja, es gibt ihn, den zynischen Blick der Homosexuellen auf die Gesellschaft, den schwarzen Humor der ewig Außenstehenden, die doch mitten drin sind, wie wir ihn auch von jüdischen Kreativen kennen. Die Kunst, sich über das angeblich Normale zu amüsieren und sich aber auch gleichzeitig selbst bitterböse in Frage zu stellen.“ Dennoch lassen sich die Beteiligten in ihren kreativen Möglichkeiten noch immer auf ihr sexuelles Randgruppendasein reduzieren. Axel Schock: „Sie bedienen das Bild der Gesellschaft, und das ist leider noch viel zu klischeebeladen.“

Besagtes Schubladendenken, das in Doku-Soaps noch einigermaßen charmant daherkommt, zeigt seine wahre Hilflosigkeit im Versuch der Sender, ihren Zuschauern das sperrige Thema Homosexualität ernsthaft zu vermitteln. Paradebeispiel: Das ZDF-Nachtstudio zum Cowboy-Liebesdrama „Brokeback Mountain“ mit dem nachdenklichen Titel „Schwul – na und! Wie modern ist Homosexualität heute?“. Die Sendung begann Moderator Volker Panzer mit der These: „In unserer westlichen Gesellschaft ist es modern, schwul zu sein.“ Nervös kichernd walzte er fortan – seinem Namen alle Ehre machend – durchs Programm, entschuldigte den wegen eines Unfalls abwesenden Rosa von Praunheim mit „Auf das Auto ist natürlich einer hinten drauf gefahren“, verhedderte sich in Sätzen wie: „Sie leben ja in einer – wenn man so will – eheähnlichen Gemeinschaft“, und schwärmte vom „reichen, schwulen, weil promiskuitiven Sexualleben“.

Hinnerk-Experte Ulf Meyer: „Ob Doku oder Doku-Soap – TV reduziert Schwulsein noch immer auf ein Mode-Gag-Niveau, eine stylishe Attitüde. Wir werden es mit der Akzeptanz wohl erst einigermaßen geschafft haben, wenn ein bekennender Schwuler samstags die Sportschau moderiert.“