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Ein Jobcenter-Mitarbeiter will die Sexpartner einer schwangeren Antragsstellerin wissen. Einem vorstandsvorsitzenden würde man so dreiste Fragen nicht stellenHartz-IV-Empfänger sollen sich schämen

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Mit wem sie in der gesetzlichen Empfängniszeit Geschlechtsverkehr gehabt hätte, sollte eine Frau dem Jobcenter in Stade sagen. Den Fragebogen hatte sich ein Mitarbeiter des Jobcenters offenbar selbst ausgedacht. Die gesetzliche Empfängniszeit liegt in Deutschland übrigens zwischen dem 300. und 181. Tag vor der Geburt des Kindes. Es kommen also immerhin 119 Tage in Betracht, in denen wenigstens ein Mann der Frau „beigewohnt“ haben muss.

Mir selbst haben in ungebundenen Zeiten in so einem Zeitabschnitt auch schon mal mehr als ein Mann beigewohnt. Angenommen, die Frau hätte also einen Mann genannt, oder angenommen einundzwanzig, wollte das Jobcenter dann die einundzwanzig Männer fragen, ob sie tatsächlich der Frau beigewohnt haben und ob sie alle bereit wären, sich einem Vaterschaftstest zu unterziehen?

Oder vielleicht ist das nicht die wichtigste Frage, sondern: Was hat sich der Mitarbeiter des Jobcenters in Stade eigentlich dabei gedacht, als er diesen Fragebogen entworfen hat? Auf jeden Fall handelt es sich hier um einen Fall von außerordentlichem Pflichtbewusstsein. Denn aus eigener Tasche muss ja kein Mitarbeiter den Hartz-IV-Betrag bezahlen. Wenn er also so einen Fragebogen entworfen hat, dann nur, weil er sich sehr, sehr mit dem Jobcenter identifiziert und nicht möchte, dass das Jobcenter auch nur einen Euro zu viel an eine arbeitslose werdende Mutter auszahlt.

Deshalb hat der Mitarbeiter dieser Frau, die diesen Mann oder die Männer einfach nicht mit Namen und Adresse nennen wollte, auch das Geld gestrichen. Er hat sich wohl gedacht: Strafe muss sein!

Hartz IV steht den Menschen zwar zu, rechtlich, aber sie sollen sich nicht gut dabei fühlen, wenn sie das Geld in ihre Tasche stecken, sie sollen sich besser ein bisschen schämen. Früher kamen die Armen in ein Armenhaus, da saßen sie in Lumpen und kauten auf der Brotrinde. Später gab es nach Hamburger Vorbild die Allgemeine Armenanstalt, die sich um die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Armen kümmerte. Heute sollen die ärmeren Leute nicht mehr so stigmatisiert werden, weil wir uns in so einer Gesellschaft nicht wohlfühlen. Denn unser Land, das ist ja irgendwie unser Zuhause, und jeder möchte ein nettes Zuhause haben.

Dass Leute, die aus irgendwelchen Gründen nicht für sich selbst sorgen können, nicht verhungern, dass sie nicht in die Kriminalität getrieben werden, das liegt also durchaus in unserem eigenen Interesse. Und nicht zuletzt könnten auch wir mal in die Verlegenheit kommen. Auch wir wollen dann nicht verhungern müssen.

Wenn also uns dann plötzlich jemand fragen würde, mit wem wir letztens alles gevögelt hätten, dann würden wir auf jeden Fall merken, dass wir nicht mehr zu der Kategorie von Menschen gehören, die auf so eine Frage antworten dürften: „Gott, das waren so viele, die krieg ich jetzt auch nicht mehr zusammen.“ Wir würden auf jeden Fall merken, dass wir das süße Bürgerrecht, auf eine entsprechende Frage angemessen zu antworten, verloren hätten.

Und da ist es irrelevant, warum eine werdende Mutter nicht in der Lage oder willens ist, den potenziellen Zahlvater ihres Kindes zu benennen. Die Situation muss für sie übel genug sein. Sie bekommt ein Kind von einem Mann, der als Vater nicht zur Verfügung steht. Sie muss mit diesem Kind von Hartz IV leben. Es wird ihr zugemutet, solche Fragebögen auszufüllen.

Und diese Frau ist nur eine von vielen Menschen, die nicht mehr zu der Kategorie Menschen gehören, die sich den Stolz leisten können, angemessen auf freche Fragen zu antworten. Ich bin überzeugt davon, dass es Schmarotzer und Betrüger unter den Hartz-IV-Beziehern gibt. Aber die gibt es auch in den Vorständen, und die müssen nie solche Fragebögen ausfüllen.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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