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Ein Jahr nach dem 11. September (Teil 8)Die Welt mit einer Kuchengabel aus den Angeln heben

Til Mette ist Cartoonist, unter anderem für die taz bremen, mit Wohnsitz bei New York. Vor einem Jahr hat er uns seine Eindrücke nach dem 11. September geschrieben. Heute blickt er auf die Stimmung in New York zum Jahrestag der Attentate.

sitzt ein ami-pärchen mit hawaiihemd, schmetterlingssonnenbrille und videokamera in einem pariser straßencafe. er blättert hilflos in seinem englisch-französischen wörterbuch, sie winkt hilfe suchend mit ausgestrecktem arm nach dem kellner. sagt der kellner: „you don’t need me, you don’t need anybody! you are americans!“

diese nette szene fand ich kürzlich als cartoon gezeichnet in einer kleinen szenezeitschrift in manhattan. seit einem jahr sind solche selbstkritischen cartoons in new york selten geworden. ein anderer cartoon von roz chast, der zwei wochen nach den anschlägen im new yorker abgebildet war, zeigt eine frau, die die auslage eines buchladens anschaut. auf dem werbeschildchen neben dem buch steht: „now with 40% less humor“.

die anschläge vom 11. september 2001 haben in new york nicht nur den witz gelähmt, sondern auch die zeitrechnung verändert. das jahr fängt mit dem 11. september an und endet zwölf monate später feierlich und patriotisch mit dem 11. september. der 11. oktober heißt nun „vier-wochen-nach-dem-11.-september“, der 11. märz ist der offizielle halbjahrestag des 11. september, und der 11. august ist der „noch-vier-wochen-bis-zum-11.-september-tag“. die gefühlte zeit in diesem jahr hatte nicht weniger als geschlagene dreitausendsechshundertfünfzig lange tage und im fernsehn gab’s auf allen kanälen nur ein thema, guess what . . .

so langsam weiß nun auch der blödeste, wie man mit einer kuchengabel die welt aus den angeln heben kann, denn alles scheint seit dem anschlag auf die twin towers möglich zu sein. ground zero ist in den letzten monaten eine der meistbesuchten touristenattraktionen in manhattan geworden. für alle, die zum ersten mal dort sind, ist es auch nach zwölf monaten noch ein schauerlicher ort, an dem einem die grauenhaften bilder der von den türmen springenden menschen ins gedächtnis kommen. das grauen des terrors wird von den medien auch heute noch täglich so lebendig wie irgend möglich gehalten, auch weil man weiß, dass das quote bringt, und die republikaner wissen, dass ihnen die angst vorm terror die wiederwahl garantiert.

wenn man aber wie ich nun zum siebten mal mit angereisten freunden nach ground zero stapft, verliert man die angemessene sensibilität und entwickelt auch wieder ein auge für das absurde und die unfreiwillige komik des ortes. zum beispiel werden an straßenständen die helden des 11. september mit kalendern geehrt, die knackärschige feuerwehrleute im stil der village people mit sexy entblößter brust und prallen nippeln auf falschen trümmerhaufen zeigen. für heterosexuelle betrachter eine lustige art der heldenverehrung.

oder als vor ein paar wochen ein befreundeter journalist mit mir zwischen all den knipsenden touristen und den together-we-stand-t-shirtverkäufern neben den god-bless-america-hot-dog-karren stand, und uns der schwere duft von gebrannten mandeln um die nase wehte, sagte er mit einem anflug von pathos in der stimme: „sieben monate nach dem anschlag, und es riecht noch immer nach verbrannten mandeln.“ wahrscheinlich ein etwas geschmackloser witz, aber ich musste trotzdem lachen.

vor dem 11. september war die gegend um das world trade center ein reiner geschäftsbezirk und an wochenenden wie leergefegt. heute wuseln und gruseln sich tausende touristen durch lower manhattan. mit den wackeligen hilfsabsperrungen und gelangweilten polizisten an jeder straßenecke, den souvenirverkäufern und umleitungen ist lower manhattan ein jahr nach dem tausendfachen mord wieder lebendig geworden. für mich ein zeichen der hoffnung.

was ich persönlich am 11. september mache? ich werde meiner frau in einem hübschen restaurant bei kerzenschein und vino schwer romantisch in die augen schauen und ihr sagen, dass ich uns noch viele-viele-viele 11. september wünsche, denn der ist unser hochzeitstag.

Til Mette

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