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Ein Jahr nach Umweltkatastrophe in der OderDie Teichmuschel ist nicht mehr da

Ein Jahr nach dem Fischsterben besucht Umweltministerin Lemke die Oder. Das Ökosystem erholt sich langsam – doch eine neue Katastrophe ist möglich.

Ministerin vor Ort: Steffi Lemke im Juni im Nationalpark Unteres Odertal Foto: Patrick Pleul/dpa

Schwedt taz | Dirk Treichel hat extra die Gummistiefel angezogen. Der Leiter des Nationalparks Unteres Odertal steigt in die trübe Flut an Flusskilometer 92 und holt einen Messbecher Oderwasser heraus. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hält den Messstab ins Wasser: 1.400 Mikrosiemens – normal sind 600, ab 1.400 wird es gefährlich, sagen Experten. Der Wert misst, wie gut das Wasser Strom leitet. Und je höher er ist, desto mehr Salz ist im Wasser.

Die Ministerin guckt besorgt. Und sie sorgt auch dafür, dass das möglichst jede und jeder mitbekommt, der sie auf ihrer Reise begleitet. Vor einem Jahr vergiftete eine tödliche Welle das Leben im Fluss: Tausend Tonnen Fisch allein auf deutscher Seite starben, die Population der Großen Teichmuschel wurde praktisch ausgelöscht, Fischer standen vor dem Ruin. Der Grund: Eine ruckartig erhöhte Salzfracht im Fluss brachte die Goldalge explosionsartig zur Vermehrung. Dazu war die Oder in einem heißen und trockenen Sommer sehr warm und niedrig. Eine tödliche Mischung für Fische, Muscheln, Insekten.

Ein Jahr später heißt es: Ausgerottet hat das Gift keine Arten, aber sehr wohl dezimiert. Viele Fischarten sind wieder da – wenn auch mit weniger Exemplaren und nur, weil die Fischer sie schonen. Die Muscheln dagegen, die im Fluss große Bänke bilden und das Wasser filtern, seien erst einmal praktisch verschwunden und würden erst nach Jahren wiederkommen. Die Umweltministerin ist gekommen, um zu sehen, wie es dem Fluss geht. Sie sagt: „Alle Rahmenbedingungen für ein neues Massensterben sind da. Es kann jederzeit wieder losgehen.“

Nationalparkchef Treichel nickt, Lemkes Experten nicken: Das Salz im Fluss, vermutlich aus den oberschlesischen Bergbauregionen, hat nicht mehr die tödliche Menge wie vor einem Jahr. Die Abwässer auf polnischer Seite würden inzwischen besser geklärt. Aber: Es ist immer noch genug Salz im Fluss für eine Katastrophe. Der Fluss hat immer noch Niedrigwasser. Er ist immer noch zu warm. Und immer noch gibt es große Pläne, den Fluss weiter zu kanalisieren und auf deutscher und polnischer Seite massiv auszubauen.

Lemke hat mit allen geredet

Vielleicht das Schlimmste für die Experten: Sie verstehen nicht wirklich, was passiert, oder was nicht passiert. Sie können nicht sagen, warum es in diesem Jahr nicht zu einer Katastrophe wie 2022 gekommen ist. „Keiner weiß, warum es in diesem Jahr keine explosionsartige Ausbreitung der Alge gegeben hat“, sagt Nationalparkchef Treichel. Und Lemke meint: Wenn sie den Sommer ohne das nächste große Sterben überstehen, „werden wir sagen: Da haben wir Glück gehabt.“

Keine gute Grundlage für vorausschauende Umweltpolitik. Lemke hat mit allen geredet: mit ihrer polnischen Amtskollegin Anna Moskwa, damit Polen die Salzfracht verringert. Am Bergbau will Polen aber nichts ändern. Auch die großen Pläne für den Ausbau will das Nachbarland weiter verfolgen. Und auch Deutschland hat sich 2015 verpflichtet, die Oder weiter für Schiffe auszubauen, damit im Winter die Eisbrecher Überschwemmungen verhindern können.

Mit dem zuständigen Verkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) sei man im Gespräch, so Lemke. Aber ob das reicht, um am deutsch-polnischen Staatsvertrag zu rütteln, der „aus ökologischer Sicht hochproblematisch ist“, wie Lemke sagt? Und gegen den sie schon erfolglos als grüne Abgeordnete gekämpft hat. Damals hatte sie den Eindruck, das Thema habe in Deutschland niemanden interessiert, auch weil es so weit im Osten liegt.

Der Umgang mit Wasser muss sich ändern

Was bleibt der Ministerin? Werben für umfassenden Schutz der Umwelt, der Menschen, ihrer Arbeit und ihrer Heimat. „Biodiversität bedeutet, dass die Landschaft intakt ist, dass der Hochwasserschutz funktioniert, dass man Dürre und Hochwasser nicht nur mit technischen Maßnahmen begegnen kann.“ Flüsse seien mehr als nur Kanäle, gerade in Zeiten, wo die Sommer heißer und trockener werden und Wasser knapp. Der Umgang mit dem Wasser müsse sich ändern, intakte Auenlandschaften seien für alle wichtig.

Aber wenn die Verträge zum Flussausbau eingehalten werden müssen; wenn die polnischen Behörden Gerichtsurteile ignorieren, die den Ausbau in Frage stellen; wenn die Salzfracht im warmen Fluss gefährlich hoch bleibt und wenn niemand weiß, wann und warum die tödliche Algenblüte wiederkommt und selbst einer Bundesministerin „ein Stück weit die Hände gebunden sind“. Dann bleibt nur noch, zu hoffen, „dass es nicht wieder passiert.“

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3 Kommentare

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  • "Keiner weiß, warum es in diesem Jahr keine explosionsartige Ausbreitung der Alge gegeben hat"

    Ich hab zwar nur ein Semester Limnologie, aber ich rate mal: Prymnesium parvum tritt normalerweise nur in Meeresnähe auf. In den Wasserhindernissen des Golfplatzes zu Mar-a-Lago, da würde man die erwarten. Flüsse hochwandern kann sie eigentlich nicht wirklich; eher wird sie vom Wing, Booten oder Wasservögeln flussaufwärts transportiert.



    Damit das funktioniert, muss der Flusspegel a) eher niedrig sein (so dass der Salzgehalt im Mittellauf schon so hoch ist, wie normalerweise and er Mündung ins Meer), aber b) nicht so niedrig, dass die Strömungsgeschwindigkeit so hoch wird, dass die Algen nicht mehr mithalten können.

    Dieses Jahr hatten wir erst mal krasse Dürre im Oder-Einzugsgebiet, und dann ohne großen Übergang krasse Regenmengen.

    Ist natürlich im Nachhinein alles schwer beweisbar. Das Motto der Limnologie - und der gesamten Feldökologie - könnte durchaus Heraklits δὶς ἐς τὸν αὐτὸν ποταμὸν οὐκ ἂν ἐμβαίης sein. Wenn sich ein Phänomen immer wieder wiederholt, dann ist eine robuste Beweisführung möglich. Im Nachhinein, bei einem (bis auf weiteres) einmaligen Ereignis, hat man fast nie zur richtigen Zeit die richtigen Proben gezogen und alle Messungen gemacht, die man für einen Beweis braucht.

    (Dass die kleinen Singvögel der gemäßigten Breiten im Winter NICHT im Unterholz oder im Schlamm von Gewässern in Kältestarre herumliegen, weiß man ja auch erst seit Ende des 19.Jahrhunderts sicher. Noch zu Darwins Zeiten gab es viele "Naturphilosophen", die Zugvögel für eine gotteslästerliche Lüge hielten. Alles Beobachten half nix: den einen Tag sitzen die Schwalben auf den Telegraphendrähten, den nächsten Tag fliegen sie über dem nächsten größeren Fluss oder See rum, so tief dass die Schnäbel ins Wasser tauchen - und einen Tag später sind sie alle weg...



    Erst als H.C.C.Mortensen die Idee mit den Alu-Ringen mit Nummern drauf hatte, konnte man die Sache sicher klären.)

  • "Die Ministerin guckt besorgt. Und sie sorgt auch dafür, dass das möglichst jede und jeder mitbekommt, der sie auf ihrer Reise begleitet."



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    Oderflut-Erinnerungen wegen der Gummistiefel?



    Aus deutschlandfunk.de:



    „Die Macht der Bilder hat definitiv zugenommen“



    Durch die Sozialen Medien habe die Macht der Bilder noch einmal zugenommen, sagte der Publizist Hendrik Wieduwilt im Dlf. Ein unprofessioneller Umgang mit der Medienöffentlichkeit könne auch zu einem Zeichen für andere Inkompetenzen werden. „Wie jemand wirkt, ist nun mal ein Teil der Kompetenz für ein solches Amt.“



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    Gegen Besorgnis ist hier nichts einzuwenden, finde ich.



    Sorglosigkeit im Umgang mit Wasser ist ja das Problem.



    Sie macht ihren Job, die JournalistInnen einen anderen.

    • @Martin Rees:

      Das war vom Autoren erstmal nur eine nüchterne Tatsachenbeschreibung, die man nicht zwingend als Kritik beschreiben muss, zumal der Artikel inhaltlich positiv zu Lemkes Positionen steht.