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Ein Jahr arabischer Frühling"Frauen standen an vorderster Front"

Iman Bugaighis war die Sprecherin des Nationalen Übergangsrats in Libyen. Jetzt erinnert sie sich an die Revolution vor einem Jahr. Und hofft auf Demokratie

Wer hat hier den Hut auf? Beim Sturz Gaddafis kämpften viele Frauen mit. Bild: dapd/AP

Am Mittag des 17. Februar 2011 protestierte eine Gruppe von etwa hundert Männern und Frauen vor dem Gerichtsgebäude in Bengasi, das zum Symbol dafür geworden war, wie wenig Gerechtigkeit in Libyen herrschte. Es waren Anwälte, Akademiker, Geschäftsleute und Ärzte.

In den ersten Tagen forderten wir Frauen die Männer auf, sich uns anzuschließen. Sie hatten erst nur zögerlich zugeschaut, langsam folgten uns immer mehr. Später erzählten viele, dass sie sich für ihre Angst schämten, während wir Frauen an vorderster Front standen.

Als westliche Medienvertreter die befreite Rebellenhochburg Bengasi betraten, erwarteten sie stumme, passive Frauen. Die Überraschung war groß, als sie auf gut ausgebildete, vor Energie strotzende Frauen trafen. Während der Revolution waren sie an der Front präsent. Sie versorgten die Verwundeten, bereiteten Mahlzeiten für die Kämpfer und arbeiteten mit den Medien. Das schuf neue Realitäten. Frauen gewannen an Vertrauen - auch in ihre Fähigkeit, beim Aufbau eines demokratischen Libyens wichtige Beiträge zu leisten.

Zudem begannen solche Männer, die es ablehnten, dass ihre weiblichen Familienangehörigen spät arbeiteten oder an Protesten teilnahmen, die Wichtigkeit der Präsenz von Frauen zu begreifen. Sie begannen, diese Aktivitäten zu unterstützen.

Nie so marginalisiert wie in anderen Ländern

Bild: taz

Was denken Tunesierinnen ein Jahr nach dem Sturz Ben Alis? Auf was hoffen Ägypterinnen nach Mubarak? Und wofür fürchten sich Syrerinnen unter Assad? Ein Jahr nach der arabischen Revolution erzählen Frauen in einem achtseitigen sonntaz-Spezial vom 14./15. Januar 2011 ihre Geschichten. Und: Welche Rolle spielt jetzt der Islam? Die aktuelle sonntaz: am Kiosk, eKiosk und im Wochenendabo. Für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

Allerdings spiegelte sich der Wandel nicht in der Repräsentation von Frauen im Nationalen Übergangsrat und den Lokalräten wider. Der Anteil von Frauen im Rat beträgt vier Prozent. In den Lokalräten gibt es keine Frau.

Vor der Revolution waren Frauen in Libyen nie so marginalisiert wie in anderen konservativen Ländern. Die Gehälter für Männer und Frauen waren gleich. Die Anzahl von Mädchen und Frauen an Schulen und Universitäten war höher als die von Jungen und Männern. Das Dekanat des Zahnmedizininstituts, an dem ich arbeite, ist mit einer Frau besetzt. Vierzig Prozent von Lehrpersonal und Führungskräften sind weiblich. Das gibt Hoffnung für Frauen in Libyen.

Dennoch: Frauen sind keinesfalls sozial gleichgestellt, besonders nicht in ländlichen Gebieten. Jetzt machen sich die Komitees weiblicher Aktivisten die Risiken bewusst, die eine Marginalisierung von Frauen im Entscheidungsfindungsprozess birgt. Frauen organisieren sich. Sie nehmen an Führungsworkshops teil, bilden sich politisch und reisen, um die Wahlen in den entstehenden Demokratien in Tunesien und Ägypten zu beobachten. Frauen müssen sicherstellen, dass die neue Verfassung Frauenrechte gewährt.

Parlamentswahlen finden in Libyen im Juni 2012 statt - eine große Herausforderung für ein Land, das nie einen demokratischen Wahlprozess erlebt hat. Frauen, die sich einbringen wollen, werden von den zivilgesellschaftlichen Organisationen ausgewählt, um sie auszubilden und Frauen in anstehenden Wahlen zu repräsentieren. Auch die Forderung nach einer Frauenquote wurde erhoben. Wir sind realistisch - und optimistisch.

Iman Bugaighis war bis zu Muammar al-Gaddafis Sturz Sprecherin des Nationalen Übergangsrats.

Wovon andere Frauen aus dem Jemen, Libyen und Syrien ein Jahr nach dem Umsturz in Tunesien träumen, lesen Sie in der //www.taz.de/zeitung/tazinfo/sonntaz-vorlauf/:aktuellen sonntaz. Mit acht Sonderseiten zur arabischen Revolution der Frauen. Am Kiosk, eKiosk – oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

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7 Kommentare

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  • JO
    Jürgen Orlok

    Nachtrag:

    Es waren nicht nur die Leibwächterinnen, die aktiv mit der Waffe kämpften.

    Es gibt einige "Dokumente" im Internet, die normale Libyerinnen der Gaddafi-Seite im Kampf zeigten.

    Ein minimales Maß an Anstand, ein obsoltes Wort, sollte bewahrt werden.

    In Anbetracht tausender von NATO&Co Raubmördern ermordeten Libyern ist es moralisch schon ziemlich verwerflich, schönfärberisch von Frühling zu reden !!

    Aber die Sonne scheint bekanntlich ja auch über Massengräbern und es wachsen Wildblumen darauf im Frühling ...

  • A
    Argos

    "...forderten wir Frauen die Männer auf, sich uns anzuschließen. [...] Später erzählten viele, dass sie sich für ihre Angst schämten, während wir Frauen an vorderster Front standen."

     

    Klingt etwas unglaubwürdig. Die Frage ist nur, was die Frauen an "vorderster Front" gemacht haben.

     

    "Während der Revolution waren sie an der Front präsent. Sie versorgten die Verwundeten, bereiteten Mahlzeiten für die Kämpfer und arbeiteten mit den Medien"

     

    Achso! Da haben wir ja eine ganz klassische Rollenverteilung vorliegen, wie wir sie schon aus dem 1. Weltkrieg kennen. Die Frauen treiben die Männer zum Kampf, appellieren an ihre Männlichkeit, sie sollen nicht feige sein usw.

    Aber selber kämpfen tun die Frauen natürlich nicht. Alles klar!

  • S
    Stefan

    ich glaube in dem Artikel wird etwas verwechselt.

    Die einzigen Frauen die in Lybien an vordester Front waren, waren die Leibwächterinnen von Gadaffi.

  • TR
    Thorsten Reinert

    In keinem einzigen Fernsehbericht vom Bürgerkrieg sah man auch nur eine einzige Frau in Waffen unter Einsatz ihres Lebens kämpfen.

     

    Umgekehrt sah man sehr wohl weibliche Leibwächterinnen Gaddafis, man hörte viel von der schrecklichen weiblichen Henkerin und kein Palast war dermaßen vergoldet wie der der Tochter Gaddafis. Man sah Frauen in Massen für Gaddafi demonstrieren. Der war ein überzeugter Feminist übrigens.

     

    Soviel zum Thema: "Frauen standen an der vordersten Front."

     

    Die übliche verlogenen feministischen Lügen.

  • JO
    Jürgen Orlok

    Da die Dame ja an der Quelle arbeitete ,

    muß sie ja ganz genau über die Medienstrategie informiert gewesen sein.

    Das Bild der Frauen, daß sie darstellt, ist das aus Benghazi, nicht Tripoli. Und die folgenden Bildberichte aus Benghazi zeigen praktisch das "alte" Frauenbild von vor dem NATO&Co gesponsorten Raubmord an Libyen.

    Was kurze Zeit dort war ist vergleichbar mit dem Ansturm der Groupies in alten Tagen ... Konzert des Aufstandes ...Huren der Rebellion ...

    Die Frauen, die ich in Libyen erlebte, es waren nur wenige, machten sich Sorgen, daß ihre Kinder oder Männer von NATO-Bomben getötet würden, und die machten einen sehr selbstbewußten Eindruck, in Tripoli ...

    Vielleicht zieht sie es ja heute vor, von nichts etwas gewußt zu haben, wie einige unserer bundesdeutschen Nazi-Größen nach der Niederlage.

    Die allermeisten Meldungen von der Seite der NATO&Co Raubmörder , NTC, waren sehr schnell als PropagandaLügen entlarvt ... also ihrem Spezialgebiet.

    Ist so jemand glaubwürdig ?

    Vermutlich ja, da die taz-Leserschaft auch in enger Kooperation mit "Bild .... lügt" .. so eine Spruch gab es doch einmal, wann war das nur ????

    Falls irgendwelche taz-Leser an der Wahrheit interessiert sein sollten ...

    Ein passendes Projekt ist in Vorbereitung ....

  • H
    herbert

    Demokratie schon,

    aber wenn es so läuft wie im Nachbarland Tunesien wo eine Islamische Partei als Wahlsieger aus den freien Wahlen hervorgegangen ist, dann sieht es für die individuelle Freiheit, die Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung sehr schlecht aus.

     

    Das wird noch ein langer Weg.

  • JL
    julius lieske

    Seit wann wird denn in der taz "Gaddafipropaganda" abgedruckt?

    Vor der "Revolution" war offenbar alles super - und obwohl nichts darauf hindeutet, dass die Stellung der Frauen in der Zukunft auch nur annähernd an diesen Standard heranreichen wird, schliesst sie mit dem Satz: "Das gibt Hoffnung für die Frauen"?

    Was denn bitte?

    Also zumindest das Schönreden und heruminterpretieren hat sie bei ihrer Ausbildung durch "zivilgesellschaftliche Organisationen" schon gelernt.

     

    "Symbol dafür(...)wie wenig Gerechtigkeit in Libyen herrschte. Es waren Anwälte, Akademiker, Geschäftsleute und Ärzte."

    "Die Überraschung war groß, als sie auf gut ausgebildete, vor Energie strotzende Frauen trafen."

    " Vor der Revolution waren Frauen in Libyen nie so marginalisiert wie in anderen konservativen Ländern."

    " Allerdings spiegelte sich der Wandel nicht in der Repräsentation von Frauen im Nationalen Übergangsrat und den Lokalräten wider. Der Anteil von Frauen im Rat beträgt vier Prozent. In den Lokalräten gibt es keine Frau."

    "Die Gehälter für Männer und Frauen waren gleich. Die Anzahl von Mädchen und Frauen an Schulen und Universitäten war höher als die von Jungen und Männern. Das Dekanat des Zahnmedizininstituts, an dem ich arbeite, ist mit einer Frau besetzt. Vierzig Prozent von Lehrpersonal und Führungskräften sind weiblich.

    Das gibt Hoffnung für Frauen in Libyen."