Ein Jahr Krieg in Sudan: Die Krieger zerstören ihr Land
Nach einem Jahr Krieg zwischen Armee und RSF-Milizen funktioniert in Sudan nichts mehr. Es droht eine Hungersnot und eine Ausweitung der Kämpfe.
„Es brennt in Sarfaya und benachbarten Dörfern“, berichtet eine weitere Quelle über die neuesten Kämpfe unweit der Stadt El Fasher. Die US-Regierung und die UNO warnten am Wochenende vor den „verheerenden“ Folgen von Kämpfen um die Hauptstadt der Provinz Nord-Darfur, „ein bereits von Hungersnot betroffenes Gebiet“, wie UN-Generalsekretär António Guterres am Samstagabend mahnte.
Diese jüngste Zuspitzung ist nur einer von unzähligen solcher Vorfälle in Sudan, ein Jahr nach Ausbruch des Krieges. Am 15. April 2023 trat der damalige Vizepräsident Hamdan Daglo Hametti mit seiner paramilitärischen Miliz RSF in den Aufstand gegen Staats- und Armeechef Abdelfattah al-Burhan, um die Integration seiner Miliz in die Streitkräfte und damit den Verlust seiner Kommandogewalt zu verhindern.
Von einem Tag auf den anderen wurde Sudans Hauptstadt Khartum zum Schlachtfeld. Ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung beschossen beide Seiten sich gegenseitig und die ganze Stadt mit schwerer Artillerie. Hunderttausende ergriffen die Flucht, Ausländer wurden evakuiert, die Regierung zog sich in die Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer zurück.
Erst brannte Khartum, heute das ganze Land
Ein Jahr später brennt nicht nur Khartum, sondern das ganze Land. Der Krieg weitete sich ab Juni 2023 zunächst nach Westen aus, nach Darfur, wo RSF-Führer Hametti beheimatet ist. Nur in El Fasher behielt die Armee die Kontrolle, die anderen vier Provinzhauptstädte fielen bis November an die RSF. Bei Massakern der RSF sollen Zehntausende getötet worden sein.
Ab Dezember weitete die RSF ihre Angriffe auf den Süden und Osten Sudans aus. Wad Madani, eine Stadt voller Flüchtlinge aus Khartum und Hauptstadt von Sudans Kornkammer Gezira, fiel Mitte Dezember 2023. Inzwischen wurde auch der Bundesstaat Gedaref an Äthiopiens Grenze zum Kriegsgebiet. In allen Konfliktgebieten agieren mittlerweile auch lokale Milizen auf eigene Faust, denn keine der großen Kriegsparteien schert sich um das Wohlergehen der Bevölkerung.
Die UN spricht von Sudan als der größten Flüchtlingskrise der Welt. Vor Kriegsbeginn waren 2,5 Millionen Menschen aus Sudan inner- und außerhalb des Landes auf der Flucht, heute sind es 10,7 Millionen. 3,5 Millionen Menschen haben den Großraum Khartum verlassen, über die Hälfte der Bevölkerung.
Sowohl Armee als auch RSF stellen den Krieg als einen zwischen Staatsmacht und Rebellen dar. Die Armeeführung definiert die RSF als Terroristen, die mit aller Härte zu zerschlagen seien. Die RSF posiert als Freiheitskämpfer und sucht Verbündete unter Sudans ehemaliger Demokratiebewegung.
In Wahrheit sind beide Kriegsparteien Teile des skrupellosen sudanesischen Militärapparats, der seit dem Volksaufstand von 2019 und dem Sturz des Militärdiktators Omar Hassan al-Bashir versucht, die Pfründe der Generäle zu retten. Die Armee und die paramilitärische RSF, hervorgegangen aus der für den Genozid an Darfurs nichtarabischen Volksgruppen vor zwanzig Jahren verantwortlichen regimetreuen Miliz Janjaweed, haben beide Zugriff auf Banken und Staatsapparat, während der Rest der Bevölkerung ausblutet.
„Das ist kein Bürgerkrieg, es ist ein Krieg gegen die Bürger“, sagt die Frauenrechtlerin Rabab Baldo.
Die Landwirtschaft liegt praktisch brach
Nach sudanesischen Schätzungen ist Sudans Volkswirtschaft vergangenes Jahr um 50 Prozent geschrumpft, Haushaltseinkommen um 40 Prozent. Staatsgehälter, die wichtigste regelmäßige Einkommensquelle der Bevölkerung, werden nur noch verspätet, bruchteilhaft oder gar nicht ausgezahlt. Zwei Drittel aller Unternehmen haben geschlossen. Die Landwirtschaft, von der die meisten Menschen in Sudan leben, liegt praktisch brach – und damit droht eine weitreichende Hungersnot.
Schon 2023 sank die Getreideernte gegenüber dem Vorjahr aufgrund des Krieges um 46 Prozent, in den besonders umkämpften Regionen Kordofan und Darfur sogar um 80 Prozent. Die Kämpfe in Sudans Kornkammer Gezira ab Dezember fanden mitten in der neuen Aussaat statt. Nach Angaben der staatlichen Landwirtschaftsbank ist Sudans Anbaufläche dieses Jahr nun 60 Prozent kleiner als sonst. Was das für die Ernte 2024 bedeutet, liegt auf der Hand.
„Neben den wahllosen Luftangriffen der Armee, die einen Großteil der lebensmittelverarbeitenden Betriebe in Khartum zerstört haben, wurden nach Berichten von Bauern aus Gezira Bewässerungssysteme zerstört, Lagerhallen voller Saatgut und Werkzeug geplündert und Bauern während der Ernte überfallen“, berichtet Sudan-Expertin Anette Hoffmann vom niederländischen Clingendael Institut, das Anfang Februar mit einer Warnung vor einer großflächigen Hungersnot in Sudan als erstes Alarm schlug. Heute warnen auch die Vereinten Nationen davor, und sudanesische Beobachter sagen, die Hungersnot sei längst da.
Was überhaupt an Lebensmitteln zur Verfügung steht, ist deutlich teurer als früher, mit Preissteigerungen von bis zu 118 Prozent gegenüber Vorkriegszeiten. Treibstoff, den Armee und RSF für sich selbst brauchen, ist höchstens noch auf dem Schwarzmarkt zu haben, zum vierfachen Normalpreis; das macht Handel und Importe unerschwinglich.
Nicht nur die Landwirtschaft, auch das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen: Lebensmittel und medizinische Güter sind bevorzugtes Plündergut insbesondere für die RSF, die nicht mehr staatlich versorgt wird und nun auf dem Rücken der von ihr kontrollierten Bevölkerung lebt. Je ärmer diese Bevölkerung wird, desto mehr bisher friedliche Gebiete muss sie angreifen, um weitermachen zu können. Über 70 Prozent aller Gesundheitseinrichtungen Sudans sind zerstört.
Das Schlimmste kommt erst noch
Das Ergebnis vermelden die dürren Statistiken der UN-Hilfswerke. Sudan hat rund 41 Millionen Einwohner, die Hälfte davon minderjährig. 24,7 Millionen Menschen, davon 14 Millionen Kinder, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, weil sie sich nicht mehr selber versorgen können. Nur 2,3 Millionen wurden dieses Jahr bisher erreicht.
17,7 Millionen Menschen lebten Ende 2023 nach Angaben des internationalen Hungerfrühwarnsystems IPC bereits in Phase 3 der fünfstufigen IPC-Skala, also „akuter Hunger“. Das waren bereits zehn Millionen mehr als ein Jahr zuvor.
Und das Schlimmste kommt noch. Ab Mai, wenn die Regenzeit beginnt, in der eigentlich die nächste Ernte wachsen soll, befürchten Experten ein Massensterben. Drei Viertel der Gesamtbevölkerung werden weniger als die Hälfte ihres täglichen Bedarfs zur Verfügung haben, ein Drittel dürfte in IPC-Phase 5 abgleiten, also „Hungersnot“, so Clingendael. Das entspricht den Befürchtungen für Gaza – aber zwanzigmal höher.
Ende März warnte das Hilfswerk Save the Children auf Grundlage von Daten der UN vor 222.000 verhungerten Kindern und 7.000 verhungerten Müttern von Kleinkindern in Sudan in den kommenden Monaten. „Die Krise hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht“, analysiert Do
Minic MacSorley vom Hilfswerk Concern und schildert die Lage in den Flüchtlingslagern von Darfur: „Die Familien haben nur noch eine Mahlzeit pro Tag. Frauen essen am wenigsten und als letzte.“
Und Fatima Ahmed von der Frauenrechtsorganisation „Zenab Women for Development“ sagt: „Für Schwangere, Alte und Behinderte gibt es nichts. Sie sitzen einfach auf der Erde und warten.“
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