Ein Haus für den Pinselheinrich

In Charlottenburg hat er gelebt, gezeichnet, gemalt und geschrieben: Aber jetzt soll Heinrich Zille aus seinem „Milljöh“ in die Mitte ziehen. Eine eigens gegründete Heinrich-Zille-Gesellschaft richtet ihm ein eigenes Museum für seine Werke und seinen Nachlass ein. Nur ein paar Sponsoren fehlen noch

Ein kleines Kind mit seiner Mutter ist zu sehen: „Mutta, was is das for ’n Vogel?“ – „Eine Amsel.“ – „Kann ma die essen?“

Der Künstler Heinrich Zille war bekannt für seine beißenden Bildunterschriften und seine teils humoristischen, teils satirisch anklagenden Darstellungen aus dem proletarischen Milieu Berlins. Mehr als 71 Jahre (1858–1929) nach dem Tod des Zeichners, Fotografen und gelernten Lithografen will die eigens dafür gegründete Heinrich-Zille-Gesellschaft ihm ein Museum im Nikolaiviertel im Bezirk Mitte einrichten. Das „Traumziel“ des 1999 auf Initiative des Zille-Urenkels Hein-Jörg Preetz-Zille gegründeten Vereins soll am 10. Januar 2002, dem 144. Geburtstag des berühmten Ehrenbürgers der Stadt, endlich verwirklicht werden.

Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte hat dafür jetzt Räume in der Propststraße 11 reserviert, die zusammen mit der Aktionsgemeinschaft Nikolaiviertel renoviert werden sollen. Doch bevor damit begonnen werden kann, braucht der Zille-Verein rund 250.000 Mark als Anschubfinanzierung für Personal- und Betriebskosten, sagt der von der Gesellschaft engagierte Gründungsdirektor Albrecht Pyritz. Danach werden für etwa vier weitere Jahre jeweils 50.000 Mark benötigt. Um diese Startkosten aufzubringen, suchen die Organisatoren noch nach Sponsoren.

Ein erstaunlich großer Teil der bisher angefragten Unternehmen reagierte positiv, sagt Pyritz. Im September wolle man nochmals verstärkt nach finanzieller Unterstützung suchen, so dass im November mit der Renovierung der Räume begonnen werden kann. Vor allem bemühe man sich um einen dauerhaften Hauptsponsor, der die Erstausstattung des Ausstellungsortes fördert. Die laufenden Unterhaltskosten will die als Privatmuseum geführte Institution selbst erwirtschaften. Zudem soll ein aktiver Förderkreis ins Leben gerufen werden, der aus Mitgliedern der Heinrich-Zille-Gesellschaft, Privatpersonen und Wirtschaftsunternehmen besteht. Prominente Berliner Künstler wie Wolfgang Gruner, Edith Hancke, Lilo und Günter Pfitzmann konnten bereits für das Projekt gewonnen werden. Zudem unterstützen der Bürgermeister des Bezirks Mitte, Joachim Zeller (CDU), und der ehemalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) das Vorhaben.

Auf zwei Etagen des Museums mit einer Fläche von insgesamt rund 300 Quadratmetern will die Zille-Gesellschaft neben biografischen Dingen des Künstlers alljährliche Wechselausstellungen zeigen. So sollen auch Werke Zilles und Privatfotos aus der Sammlung „Zeichner der Großstadt“ zu sehen sein. Zudem ist geplant, Bilder aus Privatbesitz, meist von Vereinsmitgliedern, der Öffentlichkeit zu präsentieren. Darüber hinaus sollen Kurse, Vortragsreihen, eine Bibliothek mit Werken der Zille-Literatur und ein Archiv mit Künstler-Autografen eingerichtet werden.

Pyritz bezeichnet den Standort des Museums für den von den Berlinern liebevoll genannten „Pinselheinrich“ als ideal. Man habe sich zwischen den Angeboten Kurfürstendamm, Unter den Linden und Potsdamer Platz vor allem aus marktwirtschaftlichen Gründen für das Nikolaiviertel entschieden. Den zentralen Ort Berlins besuchen jährlich etwa 500.000 Touristen, so dass der 38-jährige Kunsthistoriker mit rund 60.000 bis 80.000 Museumsbesuchern pro Jahr rechnet. Der Ausstellungsort soll sieben Tage die Woche von 10 bis 20 Uhr geöffnet haben.

In der Vergangenheit hat es bereits schon einmal ein Zille-Museum in Berlin gegeben. Nämlich dort, wo Zille einst gelebt, gezeichnet, gemalt und geschrieben hat. Dort, in Charlottenburg, wo er den Menschen auf den Mund geschaut hat und eine Straße nach ihm benannt ist. Der von dem Künstler-Verehrer Herbert Ernst ins Leben gerufene Ausstellungsort war kostenlos zugänglich und unbewacht, so dass vermehrt Werke gestohlen wurden. Deshalb entschloss sich der Gründer nach zehn Jahren, das Museum zu schließen und die Bilder Zilles zu verkaufen.

Zwei der bedeutenden Werke aus Ernsts Sammlung, „Ringkampf in der Schaubude“ und die „Fleischkriege in der Markthalle“, werden in der Eröffnungsausstellung des neuen Museums zu sehen sein. Zille, selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammend, thematisierte in seinen überwiegenden Kohle- und Kreidezeichnungen immer wieder das Berliner „Milljöh“. Heute sind Originale des Zeichners von Volksleben und -laster in alle Welt verstreut. Viele Zeichnungen und Briefe befinden sich aber noch in Berlin.

SARAH-MAI DANG, DDP