piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Handwerk wird akademisch

Die Fachhochschule Osnabrück bietet den Studiengang „Bachelor of Science in Midwifery“ an. Hebammen erfahren durch dieses einmalige Studium eine Aufwertung und neue Berufschancen. Auch Männer können hier studieren

VON KENDRA ECKHORST

Hebammen können ihren Beruf neuerdings auch studieren. Die Fachhochschule Osnabrück bietet seit diesem Wintersemester den „Bachelor of Science in Midwifery“ an. „Midwifery“ heißt Hebammenkunde und „midwife“ bezeichnet die einzelne Hebamme.

„Das Berufsbild der Hebamme wandelt sich und wächst“, erklärt die Pflegewissenschaftlerin Friederike zu Sayn- Wittgenstein, die den neuen Studiengang leitet. Den Beruf auf die reine Geburtshilfe einzugrenzen, würde dem Arbeitsfeld nicht gerecht. Heute suchten Hebammen zwischen hochtechnischer Geburtsmedizin und dem ganzheitlichen Ansatz, der das Wohl der Frau von Schwangerschaft bis Stillzeit verfolgt, ihren Platz zu finden. Und sie suchten auch wissenschaftliche Anerkennung.

Der Studiengang beschränke sich nicht nur auf den Vorgang der Entbindung als „singuläres Ereignis“, sondern hat die Frauen- und Familiengesundheit in Gänze im Blick. Dazu gehört auch die Hebammenforschung. In anderen Ländern, so Sayn-Wittgenstein, sei diese weit fortgeschritten.

Die bisherige Geburtshelferausbildung sei sehr „krankenhauslastig“ und vernachlässige die häusliche Betreuung. Themen wie das Kümmern am Wochenbett oder die Stillarbeit würden zu kurz kommen.

Nötig sei die Akademisierung des Berufs aber auch wegen der fehlenden Aufstiegschancen. Ein Studium helfe, den „Weg aus der Bildungssackgasse zu finden“, sagte Sayn-Wittgenstein. Auch im Rahmen der europäischen Vereinheitlichung der Abschlüsse, die in Bologna vereinbart wurde, sei es wichtig, das auch deutsche Hebammen international anerkannte Abschlüsse erlangen. So werden sie mobiler und können auch im Ausland arbeiten.

Die Fachhochschule Osnabrück ist mit dem Studiengang „Midwifery“ in Deutschland ein Vorreiter. „Widerstände hat es nicht gegeben“, berichtet Sayn-Wittgenstein. Unterstützung fand sie auch im „Hochschulpakt 2020“, den Bund und Länder vor drei Jahren vereinbarten, um mehr Studienplätze zu schaffen. Hier werden vor allem neue Ideen gefördert.

Der Studiengang ist dual angelegt. Aufgenommen werden fertig ausgebildete Hebammen, die ihr Studium an der Fachhochschule gleich im vierten Semester beginnen. Schülerinnen einer Hebammenschule können aber auch schon parallel zu ihrer Ausbildung erste Seminare belegen.

Elke Hattenbach von der Hebammenschule der Uniklinik Göttingen hat bereits einen Kooperationsvertrag abgeschlossen. „Ich lege meinen Schülerinnen eine akademische Weiterbildung ans Herz und mache ihnen höhere Positionen in Kliniken schmackhaft“, sagt sie. Auch Susanne Quell, die Fortbildungsbeauftragte des Hebammenverbands Hamburgs, kann den Studiengang empfehlen. Sie sieht hierin „einen konstruktiven Umgang, der die Ausbildung überdacht“.

Die bewusste Spezialisierung auf den Hebammenberuf sei positiv, weil es ansonsten im Pflegebereich den Trend gebe, immer allgemeiner auszubilden und Bereiche zusammenzulegen. Erschwerend komme hinzu, dass die Hebammenschülerinnen häufig aus Kostenersparnis im ganztägigen Klinikalltag eingesetzt würden. Darüber würde die Ausbildung vernachlässigt und die Schülerinnen unzureichend vorbereitet. Sorge bereitet der Hamburger Fortbildungsbeauftragten, dass der Studiengang zu theoretisch angelegt sein könnte, da Schwangerenvorsorge und Geburtshilfe „in erster Linie ein Handwerk“ seien.

Der praktische Bezug ginge nicht verloren, versichert Friederike Sayn-Wittgenstein. So untersuchen Forschungsprojekte die Tätigkeiten von Hebammen und die Bedürfnisse von Frauen und bleiben „empirisch orientiert“. Angewendet werden die Ergebnisse, um „starke Kompetenzen auszubilden und Frauen umfassend zu unterstützen“. Dazu gehöre, bisher „fragmentierte Versorgungsangebote“ wie Stillberatung, Geburtsvorbereitung oder Rückbildungsgymnastik zu bündeln und Frauen über einen längeren Zeitraum zu begleiten.

Es solle erforscht werden, welche Beratungsangebote Frauen ansprechen. Auch solle die Qualität dieser Angebote geprüft werden. Ausschlaggebend seien die Bedürfnisse der Frauen und der Wunsch der Hebammen, eine kontinuierliche Arbeit leisten zu können.

Die ersten 16 Studentinnen hätten sich nach langjähriger Berufspraxis „begeistert und engagiert“ für das Studium entschieden und „wollten schon immer so was machen“, berichtet die Studiengangsleiterin. Es fasziniere sie, neben physiologischen auch psychische und soziale Aspekte in die Arbeit einzubeziehen.

Übrigens: Auch Männer sind in dem Studiengang willkommen. Die männliche Form der Hebamme heißt „Entbindungshelfer“. Davon gibt es laut Friederike Sayn-Wittgenstein erst drei in Deutschland.