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Ein Hai im Sardinentümpel

■ 1959 wurde ihm der Bremer Literaturpreis versagt, 1988 verkauft er seine Zeichnungen an die Stadt Bremen: Günter Grass war am Mittwoch in Bremen: Aussöhnung war das Stichwort

1959 wandte sich der Bremer Senat gegen den Entschluß der hochkarätigen Jury des Bremer Literaturpreises und verhinderte, daß der 32jährige Schriftsteller Günter Grass für seinen Roman „Die Blechtrommel“ geehrt wurde. „In einem beschämenden staatspolitischen Beschluß“, distanziert sich der heutige Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst, Horst Werner Franke, von seinen Vorgängern, „hat der Bremer Senat die Empfehlung der Fachjury abgelehnt, den Preis nicht vergeben, die Freiheit der Jury und damit die Freiheit der Kunst brüskiert“.

Mit diesem Eklat, der in Bremen die Errichtung der autonomen Rudolf-Alexander-Schrödung zur Folge hatte, bestätigte sich ein frühes Urteil Hans Magnus Enzenbergers über den Autor Günter Grass: „Dieser Mann

ist ein Störenfried, ein Hai im Sardinentümpel, ein wilder Einzelgänger in unserer domestizierten Literatur, und sein Buch ist ein Brocken (...), an dem Rezensenten und Philologen mindestens ein Jahrzehnt lang zu würgen haben...“

Die Hansestadt Bremen hat in Folge immer wieder Versuche unternommen, sich mit Grass auszusöhnen. Senator Franke höchstpersönlich bot Grass an, Mitglied der Jury des Bremer -Literaturpreises zu werden. Grass lehnte ab. Ihm wurde eine literarische Gastprofessur angeboten. Grass wollte sie nicht.

1988 allerdings ist ein Jahr der Versöhnung, der Wiedergutmachung. Grass, von den deutschen Feuilletons anläßlich seines Romans „Die Rättin“ mit bösartiger Kritik überhäuft, verließ 1986 demonstrativ Deutschland und ging

für ein halbes Jahr nach Indien, nach Calcutta, um, wie er selbst sagt und schreibt, Distanz zu gewinnen, „wegzufliegen vom subtilen Flachsinn einst linker, jetzt nur noch smarter Feuilletonisten, und weg, weg von mir als Teil oder Gegenstand dieser Öffentlichkeit“.

In Calcutta angekommen, fängt Grass an zu schreiben, zu zeichnen. „Ich habe versucht, mich der Realität anzunähern, sie mithilfe des Schreibens, des Zeichnens zu verarbeiten“. Die Ergebnisse der Indien-Reise sind mittlerweile veröffentlicht: „Zunge Zeigen“ (Luchterhand).

Zurück in Deutschland, meldeten sich die Kulturverantwortlichen Bremens. „Als es überschaubar war, welche Ernte er aus seinem zeichnerischen Werk mitgebracht hatte“, erklärt Senatsrat Dieter Opper, und Grass dem Senat einen Vorschlag für ein sogenanntes „Kalkutta-Projekt“ („Der Bremer Werkblock“) unterbreitete, griff der Senat tief in die Tasche und legte 80.000 Mark für 77 Zeichnungen aus der Kalkutta-Mappe hin.

Am Mittwoch wurden diese

Zeichnungen, fein gerahmt und schön aufgehängt, der Öffentlichkeit in der Kunsthalle vorgestellt. Auch der Katalog lag vor. Grass beantwortete Fragen. Ob er auf den Friedensnobelpreis warte?: Im Oktober bin ich immer sehr nervös. Ob der Verkauf der Bilder für ihn eine Versöhnung, eine Aussöhnung bedeute?: Ich habe, trotz der Entscheidung des Bremer Senats 1959, immer einen guten Kontakt zu Bremen gehabt, ich kann ja nicht die literarisch interessierten Bürger dieser Stadt für eine Fehlhandlung des Senats bestrafen.

An diesem Tag waren alle Beteiligten zufrieden. Der Bremer Senat konnte nun, nach fast dreißig Jahren, sein schlechtes Gewissen beruhigen, Günter Grass ist seine Zeichnungen losgeworden. Nun hängen sie in Bremen: Zeichnungen, die ihren Namen nicht verdienen, wenn der Zeichner nicht Günter Grass hieße, hingehuschte Betroffenheitsergüsse und mit sentimentalem Pinsel großflächig hingeklatschte Schock -Erlebnisse „angesichts der unglaublichen Armut Indiens“. Dunkelheit, Frauen in der Hölle, Männer in der Hölle, und

ein abgeschlagener Günter-Grass-Kopf mittenmang.

Einfältig die Bilder, einfallslos der Zeichner, literarisch unfähig der Autor Günter Grass. Der Prosa-Teil in „Zunge Zeigen“ (aus dem Grass am Mittwochabend in der Kunsthalle las) ist nach demselben Muster wie die Zeichnungen gestrickt: Augen-auf-und-abgepinselt, und wenn die zeichnerische Hand die „gewaltige Realität“ nicht mehr einfangen kann, dann muß die Prosa herhalten: „wie mir an bestimmten die Stellen die Sprache ausbleibt und das Zeichnen einsetzt, und mithilfe des Zeichnens auch wieder die Sprache in Fluß kommt“.

Aber wenn ein Autor Günter Grass heißt und auch noch zeichnet, dann darf ihn der Kieler Kunsthallen-Direktor Jensen schon mal mit Oskar Kokoschka vergleichen, mit Max Beckmann oder Ernst Barlach: „Sein (G.Grass, die R.) expressionistischer Stil entspringt der deutschen Möglichkeit des gesteigerten Ausdrucks“.

Grass kann sich eben gut verkaufen.

Regina Keichel

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