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Archiv-Artikel

Ein Guru für alle Religionen

NACHRUF Mit Sai Baba starb einer der einflussreichsten Sektenführer. Zu seiner Bestattung in Südindien werden heute mehrere hunderttausend Anhänger erwartet. Für sie gibt es Hoffnung, denn vor dem Tod versprach der Inder seine Wiedergeburt

Das Vokabular

Swami: Dieser religiöse Titel wird dem Namen vorangestellt. Laut Wikipedia zeigt er, dass eine Person gelehrt ist. In Deutschland wird „Swami“ häufig mit der Bhagwan-Sekte in Verbindung gebracht.

Guru heißt übersetzt „schwer, gewichtig“. Im Sanskrit und in den verwandten Sprachen ist es auch ein religiöser Titel für einen spirituellen Lehrer. Oft benötigt es einer Ausstrahlung, um als als Guru Anerkennung zu finden.

Bhagwan: Das ist der indische Begriff für Gott, den Gesegneten oder Erhabenen. Im Hinduismus ist Bhagwan ein Ehrentitel für spirituelle Meister, der auch heute noch Verwendung findet. Im Westen wird Bhagwan oft als Synonym für den Gründer der Neo-Sannyas-Bewegung benutzt, der mehrmals den Namen wechselte, in den 1970er Jahren aber als Bhagwan Shree Rajneesh bekannt wurde.

VON SVEN HANSEN

„Bhagwan Sri Sathya Sai Baba ist physisch nicht mehr unter uns. Er hat seinen irdischen Körper am 24. April um 7.40 Uhr wegen kardiorespiratorischen Versagens verlassen.“ So verkündete der Chefarzt des Krankenhauses in der südindischen Kleinstadt Puttaparthi (Bundesstaat Andhra Pradesh) den Tod Sai Babas, eines der weltweit einflussreichsten indischen Gurus. Die Zahl seiner Anhänger verschiedener Kasten und Religionen in aller Welt wird meist auf 25 Millionen geschätzt. Im Gegensatz zu Chandra Mohan Jain, der als anderer bekannter Bhagwan seine Fans vor allem aus dem Westen in den Osho-Ashram nach Poona lockte, war Sai Baba trotz seiner internationalen Beliebtheit auch eine Größe in Indien.

Der hinduistische Guru mit dem charakteristischen Wuschelkopf und safranfarbenen Outfit wurde nach einigen Angaben 1926, nach anderen 1929 geboren und bezeichnete sich selbst als Reinkarnation des 1918 gestorbenen populären Gurus und Wunderheilers Sai Baba von Shirdi. Dieser angeblichen Reinkarnation wurden übernatürliche Kräfte zugesprochen wie die Heilung unheilbare Krankheiten. Seine wohlfeilen Lebensweisheiten („Das Feuer ist im Holz versteckt und Gott im Menschen“) kamen bei vielen gut an. Zudem beeindruckte er mit – mehrfach überführten – Zaubertricks aus Asche. Eine von ihm gegründete Stiftung – ihr Vermögen wird auf rund 7 Milliarden Euro geschätzt – finanzierte zahlreiche Bildungs- und Gesundheitsprojekte, was ihm zusätzlichen Einfluss verschaffte.

Sai Baba war am 28. März in die von ihm selbst in seinem Geburtsort Puttaparthi gegründete Klinik eingeliefert worden. Dort bemühten sich Ärzte aus Indien, den USA und Großbritannien 28 Tage lang um sein Leben, letztlich vergeblich. Seit 2005 saß der gesundheitlich angeschlagene Sektenführer bereits im Rollstuhl. Seine Anhänger dürften über die religiöse Bedeutung seines Todes ausgerechnet an einem Ostersonntag rätseln.

Besonders erschüttert war indischen Medienberichten zufolge Cricketstar Sachin Tendulkar. Denn der Kapitän der Mannschaft Mumbai Indians und großer Sai-Baba-Anhänger ließ die Feier zu seinem 38. Geburtstag ausfallen und eilte stattdessen zum gläsernen Sarg im südindischen Puttaparthi. Seine tränenreiche Totenwache wird seitdem im TV übertragen.

Der von seinen Anhängern liebevoll „Swami“ genannte Sai Baba bezeichnete sich als Avatar, eine Verkörperung des Göttlichen auf Erden in Gestalt eines Menschen. 1963 offenbarte er sich als Verkörperung von Shiva und Shakti, zwei indischen Gottheiten, die das männliche und weibliche Prinzip symbolisieren. Später behauptete er, auch eine Verkörperung von Jesus Christus zu sein. Seine Lehre zeichnete sich durch große Toleranz gegenüber allen Religionen aus, die er grundsätzlich als gleichwertig ansah. Statt die Menschen anderer Religionen zu missionieren, bestärkte er sie in ihrem jeweiligen Glauben und setzte sich und seine eigene Lehre obendrauf. Er sei gekommen, um den Menschen das Bewusstsein ihrer eigenen Göttlichkeit zu vermitteln, war eine seiner Weisheiten.

Sai Babas Tod und seine Bestattung heute bringt nun den Terminkalender indischer Politiker durcheinander. Zu den Fans des Sektenführers zählten neben Cricketspieler Tendulkar Premierminister, Bollywoodstars, Geschäftsleute und viele Angehörige der Mittelschicht, der Dalai Lama sprach per Twitter sein Mitgefühl aus. In Andhra Pradesh machte sich sofort der Ministerpräsident auf den Weg nach Puttaparthi zu Sai Babas Ashram. Dort werden zum heutigen Begräbnis – nur spirituelle Führer werden in ein Grab gelegt, üblich sind in Indien Feuerbestattungen – mehrere hunderttausend Menschen einschließlich vieler Prominenter erwartet. Die Polizei wurde bereits in Alarmbereitschaft versetzt. Die staatliche Busgesellschaft von Andhra Pradesh versprach, so viele Busse wie möglich bereitzustellen, alle Geschäfte der Stadt wurden geschlossen, die Straßen gesperrt.

Zum 75. Geburtstag des Gurus vor einigen Jahren waren dort schon einmal 250.000 Menschen zusammengekommen. In Whitefield bei Bangalore gibt es einen zweiten von Sai Baba gegründeten Ashram, wo der Guru meist die Sommer verbrachte. Bei einem Besuch dort vor einigen Jahren waren neben vielen indischen Anhängern auch langhaarige Freaks aus Nordamerika, skandinavische Rentner mit Operngläsern und japanische Yuppies beim andächtigen Singen religiöser Lieder zu sehen.

Lange Zeit galt Sai Baba wegen seiner anerkannten finanziellen Wohltätigkeit und politischen Verbindungen als unantastbar. Dass 1993 bei einem angeblichen Attentatsversuch in seinem Wohnhaus sechs seiner Getreuen erschossen wurden, konnte ihm nichts anhaben. Doch im Jahre 2000 geriet er in die Schlagzeilen, als ehemalige Anhänger ihn des sexuellen Missbrauchs beschuldigten. Er soll ihre Genitalien berührt und dies als Teil eines religiösen Rituals dargestellt haben. Erstmals setzten sich Indiens Medien kritisch mit dem Guru auseinander, doch die Vorwürfe sexuellen Missbrauchs sind schwer zu beweisen, angeklagt wurde er nie.

Sai Baba hatte übrigens sein eigenes Ableben selbst erst für das Jahr 2020 prophezeit. Er sagte auch voraus, dass er als Prema Sai im Mandya-Distrikt im indischen Bundesstaat Karnataka wiedergeboren werde. Man wird sehen.