: Ein Grashalm zäh im Berg
■ Erst Märchen, dann Ballett und Klassenkampffilm, jetzt wieder Märchen: Götz Loepelmann inszeniert Die steinerne Blume im Schauspielhaus
Ist der Ural in unserem Bewußtsein mehr als ein mythenbelasteter, unzugänglicher Ort, Bergbaurevier für Verbannte, ferne Kontinentscheide zwischen Europa und Asien? Es scheint merkwürdig, daß dort der Lehrer Pawel Baschow im jungen Sowjetrußland die Folklore erforschte. Und dann paßt es doch, daß er dort Märchen aufschrieb, in denen er mündlich Überliefertes aus der Region mit real Erlebtem zu neuen Geschichten verquickte. Eins der Märchen heißt Die steinerne Blume und erlebt morgen seine deutsche Uraufführung am Schauspielhaus in einer Bühnenfassung von Laura Blaschay und mit Musik von Franz Wittenbrink.
Es geht um Steineschleifer, die sich einen kargen Lebensunterhalt verdienen. Ihre Unterhaltsquelle ist der Berg, der lockt und droht. „Das in Rußland bis heute als Ballett von Sergej Prokofjew sehr populäre Märchen wurde in einem der ersten sowjetischen Farbfilme auf Klassenkampf zugespitzt“, erklärt Dramaturgin Julia Lochte. „Bei uns gibt es nur einen Verwalter als Handlanger der Nutznießer. Aber zur Sache geht es trotzdem, mit Tod und Prügel. Und doch ist es ein sehr poetisches Stück.“
Poesie, das ist das Stichwort, das zu Recht mit dem Regisseur Götz Loepelmann in einem Atemzug genannt wird, aber oft darauf hinausläuft, ihn als Kindertheatermacher in großen Häusern zu titulieren. Wohl wahr, das ist seine sechste „Kinder-Arbeit“ fürs Schauspielhaus (viel Erich Kästner), das letzte war Tankred Dorsts Dilldapp. Aber in den Kammerspielen inszenierte er vor kurzem auch für Große E.T.A. Hoffmanns Sandmann.
Was ihn beim „Kinder-Ruf“ stört, ist die Verkürzung des Wertes seiner Arbeit auf Kinderei, wie viele Erwachsene sie leicht vornehmen. „Ich bin Spezialist für Märchen geworden, mache jedoch gern auch mal etwas anderes“, erklärte der gut 60jährige Loepelmann schon vor der Dilldapp-Premiere. „König Lear für Kinder wäre toll. Shakespeare hat ja auch was Märchenhaftes. Kinder verstehen da oft mehr als die Erwachsenen.“
Das Bildhafte an Märchen mag Götz Loepelmann besonders reizen, denn er ist auch Bühnenbildner in eigener Sache. Und er hat ein Herz für die Antihelden. War schon Dilldapp ein Hänfling, wird in der Steinernen Blume der Waisenjunge Danilko „dürr wie ein Grashalm“ sein. Aber er wird sich als zäh erweisen und als liebenswert. Wenn er im Bergwerk verschwindet, wird einzig seine Freundin Katja felsenfest an seine Wiederkehr glauben. Und im höchst realen Berg findet sich die höchst irreale Herrin des Berges. Tja, der Ural bleibt eben für Mythen gut. Ludwig Hugo Premiere: Fr, 15. November, 11 Uhr, Deutsches Schauspielhaus
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