Ein Gewerkschafter und ein Amnesty-Experte über Polizei und Gewalt: "Zur Kommunikation gehören zwei"
Gewerkschaften und Politik beklagen zunehmende Gewalt gegen Polizisten. Belastbare Zahlen gibt es dazu bislang kaum. Dafür Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Studien. Ein Streitgespräch über Gewalt und die Polizei - als Opfer und als Ausübende.
taz: Von den 479 Polizisten, die sich nach dem 1. Mai-Einsatz in Berlin verletzt gemeldet haben, musste keiner stationär behandelt werden. Meist ging es um Prellungen. Bauscht die Polizei die gegen sie gerichtete Gewalt auf, Herr Lenders?
Joachim Lenders: Ich glaube nicht, dass die Polizei da dramatisiert. Die Prellungen würden zu wesentlich schwereren Verletzungen führen, wäre die Polizei nicht durch die Sicherheitsausstattung geschützt. Das ist es, was ich einigen Gerichten vorwerfe: Wenn Straftäter wegen Verletzung von Polizeibeamten verurteilt werden und die Richter zu den Verletzungen sagen: "So dramatisch war das nicht".
Die meisten Übergriffe auf Polizisten geschehen laut Auskunft der Gewerkschaft der Polizei bei Streifenwageneinsätzen. Warum wird die Debatte aber meist im Umfeld von Großdemos geführt?
Martin Herrnkind: Die Debatte wird vor allem von Innenpolitikern geführt, verbunden mit starken Aktivitäten der Polizeigewerkschaften. Ich bin mir noch nicht ganz klar über die Zahlen, die man all dem zugrunde legt. Die Zahlen in Bezug auf die normalen Streifeneinsätze steigen nicht so stark. Nach den neueren Untersuchungen, die mir bekannt sind, nimmt die Gewalt in einigen Regionen eher ab. Allerdings haben wir zum Beispiel im Fußballbereich eine Steigerung von Gewalt gegen Polizeibeamte weit in den Dritt- und Viertligabereich. So etwas haben wir vor zwanzig Jahren nicht gehabt.
Die Polizei verweist darauf, dass die Widerstandsdelikte gegen Vollstreckungsbeamte in den letzten zehn Jahren um 30 Prozent gestiegen sind. Aber die Statistik unterscheidet weder zwischen Justizvollzugsbeamten und Streifenpolizisten, noch zwischen einem Aufbäumen bei der Festnahme und einem gezielten Angriff. Warum erhebt die Polizei nicht genauere Daten?
Lenders: Die Zahlen sind auch aus Sicht der Deutschen Polizeigewerkschaft völlig unzulänglich. Dazu kommt noch eine andere Unschärfe: Sobald zu dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ein schwerer wiegendes Delikt hinzukommt, fällt es bei der Statistik raus, weil das Ganze dann zum Beispiel unter schwerer Körperverletzung subsummiert wird. Seit diesem Jahr ist das geändert und auf unser Drängen hin wird unterschieden zwischen dem Widerstand gegen Polizeibeamte und anderen staatstragende Personen.
Am Donnerstag, 20. Mai, hätte ein taz Salon zum Thema "Polizei und Gewalt" stattfinden sollen. Eingeladen waren Martin Herrnkind, Joachim Lenders sowie der Anwalt Martin Lemke. Nachdem im Internet ein Aufruf erschien, den Salon wegen der Anwesenheit von Joachim Lenders aufzumischen, sagte dieser ab. Das vom Staatsschutz angekündigte Polizeiaufgebot schien ihm in keinem Verhältnis zu seiner Teilnahme zu stehen. Daraufhin sagte die taz nord den Salon ab. Die Möglichkeit zur Diskussion will sie sich nicht nehmen lassen und führte stattdessen ein Interview.
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Kriminologe und Mitglied der Amnesty-Fachkommission Polizeirecherche. Zuvor war er bei der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer PolizistInnen.
ist Hamburger Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Bis 2004 war er für die CDU Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft, Bundespolizei und einige Bundesländer haben sich gegen die Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zu Gewalt gegen Polizisten gestellt: Die Fragen beträfen das Privatleben der Polizisten und verkehrten die Opfer in Täter. Vergibt die Polizei damit eine Chance?
Herrnkind: Wir sprechen über Gewalt, dahinter steht häufig ein Konflikt und den würde ich als misslungene Kommunikation bezeichnen. Zur Kommunikation gehören immer zwei. Deswegen finde ich es logisch, diesen Konfliktanteil des Polizisten in die Untersuchung, wenn sie seriös sein soll, einzubeziehen. Nun gibt es im Polizeialltag Situationen, in denen es nicht mehr möglich ist, verbal zu kommunizieren: Zum Beispiel, wenn eine Streifenwagenbesatzung in eine Kneipe kommt, weil sich da zwei prügeln. Aber diese Situationen sind die Minderheit.
Wenn die Gewaltbereitschaft, etwa im Fußballstadion tatsächlich gestiegen sein sollte, woran liegt das?
Wir haben in Deutschland seit einigen Jahren eine Hooligan-Szene, wo es wohl um Gewalt als Event geht. Daneben gibt es immer wieder Ausschläge: Wir hatten 2002 in Schleswig-Holstein das Phänomen, dass in Lübeck doppelt so viele Widerstände verübt wurden wie in Kiel. Man versuchte mit wissenschaftlichen Untersuchungen das Phänomen zu deuten, bis hin zu einer Doktorarbeit. Aber auch deren Autor konnte es nicht klären.
Lenders: Es ist vor allem ein Problem, das die Polizei nicht lösen kann. Da muss die Gesellschaft den Leuten mit Schule, Bildung und Arbeitsplätzen eine Chance geben, sich zu beweisen.
Der Kriminologe Christian Pfeiffer glaubt, dass die Polizei einen anderen Umgang mit den Bürgern finden muss, die sich nichts mehr autoritativ anordnen lassen wollen.
Herrnkind: In den 50er Jahren verbreitete schon die Uniform genügend Autorität, um die Anordnung sofort zu befolgen. Es war nicht erforderlich und nicht en vogue, Polizeibeamte in Kommunikation zu unterrichten. Das wird heute gemacht.
Dennoch finden Übergriffe von Polizisten auf Bürger statt. Reden wir in Deutschland zu viel über die Gewalt gegen Polizisten und zu wenig über die, die sie willkürlich ausübt?
Herrnkind: Ich würde nicht so weit gehen, dass bewusst von der Gewalt durch die Polizei abgelenkt werden soll. Aber wir sehen schon, dass bestimmte Phänomene nicht untersucht werden. Erst seit 2009 haben wir eine differenzierte Statistik über Körperverletzungsdelikte von Polizisten im Amt. Wir sehen auch Defizite, wie dann mit diesen Fällen umgegangen wird.
Von Seiten der Justiz?
Herrnkind: Von Seiten der Justiz, aber auch von der Polizei. Wir haben Fälle, wo ein mitbeschuldigter Polizeibeamter die informatorische Befragung von Zeugen durchführt. Mit anderen Worten: Ein wegen Körperverletzung im Amt beschuldigter Polizeibeamter ermittelt in eigener Sache und das gelangt in die Akte. Wir haben Fälle, wo es uns an Unmittelbarkeit fehlt: Wenn jemand eine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt stellt und eine Gegenanzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte kommt, dann ruhen häufig die Ermittlungen wegen Körperverletzung, während die anderen durchgezogen werden. Dann wird erst nach eineinhalb Jahren wegen der Körperverletzung ermittelt, wenn die Zeugenaussagen weniger wert sind.
Amnesty International (AI) hat unabhängige Anlaufstellen gefordert, um Beschwerden gegen die Polizei zu erfassen. Der Rechtspopulist Ronald Schill hat eine solche Stelle in Hamburg abgeschafft - wäre es nicht eine souveräne Geste, sie wieder einzurichten?
Lenders: Ich war einer derjenigen, der vehement für die Abschaffung war. In diesem Gremium waren drei Ehrenamtliche ohne juristische Vorbildung, die der Meinung waren: Wir gucken uns mal ein paar Akten an und kommen dann nach der Abhandlung durch deutsche Gerichte zu einem anderen Urteil und rollen es neu auf. Wir sind in einem Rechtsstaat. Außerdem haben wir in Hamburg sehr erfolgreich die dienstinterne Ermittlungsabteilung, die nicht dem Polizeipräsidenten, sondern der Innenbehörde unterstellt ist. Da frag ich mich: Was soll das noch?
Das kann vielleicht Herr Herrnkind erläutern.
Herrnkind: Wir haben die Forderung ausgeweitet. Bislang ging die Diskussion um einen Polizeibeauftragten, nun wollen wir die Ermittlungen an eine unabhängige Stelle geben. Und zwar wegen unserer Erfahrung mit Fällen, in denen wir meinen, dass die Staatsanwaltschaft, die in ihrer Arbeit auf die Polizei angewiesen ist, eine allzu große Nähe zu ihr hat.
Ausschnitte aus dem Gespräch zum Nachhören bei detektor.fm
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