: Ein Geständnis, „wirklich wahr“
Im Prozeß gegen die mutmaßlichen Brandstifter auf dem Gelände des ehemaligen KZ Sachsenhausen überrascht ein Angeklagter durch ein Geständnis / Nächste Woche Plädoyers ■ Aus Potsdam Anja Sprogies
Von Anfang an war sich Staatsanwalt Picard sicher. „Auf der Anklagebank sitzen die beiden Richtigen“, sagte er bereits nach dem ersten Verhandlungstag gegen die beiden mutmaßlichen Brandstifter der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Und Picard scheint recht zu behalten.
Am vergangenen Dienstagabend, es war der siebte Prozeßtag vor dem Potsdamer Bezirksgericht, legte der 19jährige Angeklagte Ingo K. ein umfassendes Geständnis ab. Mit den Worten „Und das war so“, begann K. zu schildern, wie in der Nacht zum 26. September 1992 die Baracke 38 der Gedenkstätte in Brand gesetzt wurde. Diese Aussage sei nun „wirklich wahr“, versprach er dem Richter.
Auf der Geburtstagsparty bei seiner Lebensgefährtin Silvia S. sei er am fraglichen Abend nur bis zirka 22 Uhr geblieben, meinte K. Silvia S. hatte ihm noch am vierten Verhandlungstag ein Alibi geliefert: Er hätte den Tatabend mit ihr verbracht. Nach einem Streit mit seiner Freundin will der Sonderschüler dann aber von Berlin nach Bernau gefahren sein, wo er zufällig seinen Prenzlauer Kumpel Thomas H. traf. Beide hätten beschlossen, nachdem „einige Biere“ getrunken waren, nach Pankow zu fahren. Am Pankower Bahnhof stießen die beiden – nach K.s Angaben wiederum zufällig – auf eine Gruppe von zehn bis 15 Skins. „Ich habe die schon ein paar Mal zuvor gesehen“, gestand K. am Dienstag. „Die haben immer Zoff gemacht gegen Türken.“ An Namen wollte sich der Angeklagte jedoch nicht erinnern.
„Habt ihr Lust, mit nach Sachsenhausen zu fahren“, sollen die Skins dann gefragt haben. Ingo K. war einverstanden. „Wir wollen mal sehen, was ihr so drauf habt“, will er gesagt haben. Und die Gruppe samt den beiden Angeklagten setzte sich in die S-Bahn Richtung Oranienburg. Was die Skins in Sachsenhausen genau vorhatten, will K. zu diesem Zeitpunkt nicht gewußt haben. „Ich bin nur hinterhergelaufen.“ Vom Bahnhof Oranienburg zur Gedenkstätte, über das Tor am Haupteingang hinüber bis zur Baracke 38. Immer fünf Meter hinter den anderen, betrunken, laut Parolen schreiend. Als dann die erste Fensterscheibe klirrte und langsam Qualm aus der Baracke stieg, seien Thomas H. und er umgekehrt und zum Bahnhof Oranienburg zurückgerannt.
Immer wieder betonte K. vor dem Gericht, daß er abseits stand, daß er nicht selber Brandsätze geworfen habe. Im Gegensatz dazu steht aber seine zwischenzeitlich widerrufene polizeiliche Aussage vom Mai diesen Jahres. Hier hatte K. ausgesagt, daß er selbst Molotow-Cocktails geworfen habe. „Das habe ich nur gesagt, damit das Geständnis glaubhafter wirkt“, argumentierte er am Dienstag. Vielleicht wollte er im polizeilichen Verhör aber auch nur angeben. Denn Ingo K. prahlt gerne. Er wollte darstellen, „daß wir auch was sind und nicht nur die Berliner“. Nach dem Verständnis des Angeklagten sammelt nämlich jede Skin-Gruppe mit ihren Aktionen Plus- und Minuspunkte in der Bevölkerung. Und Molotow- Cocktails zu werfen, sei ein Pluspunkt. „Und den wollte ich meiner Gruppe zukommen lassen.“
Thomas H., der durch das Geständnis stark belastet wurde, bestritt nach wie vor jede Tatbeteiligung. „Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich war nicht daran beteiligt“, sagte er erneut vor Gericht aus. Doch auch er hatte im April vergangenen Jahres vor der Polizei detailliert ausgesagt und die Tat gestanden. Wenige Tage später widerrief er zwar, aber ein Tonbandprotokoll der polizeilichen Vernehmung, das dem Gericht vorgespielt wurde, belastete ihn stark. Nach dem Abspielen der Kassette meinte Picard: „War ich mir vorher 100prozentig sicher, daß hier die Richtigen sitzen. So bin ich es jetzt 150prozentig.“
Die Plädoyers werden am Donnerstag kommender Woche erwartet. Von den 15 Skins, die an der Tat beteiligt gewesen sein sollen, fehlt nach wie vor jede Spur. Die für die Untersuchung des Brandanschlages eingesetzte Sonderkommission der brandenburgischen Polizei hatte ihre Arbeit praktisch schon im Januar eingestellt. Ob nun in der Pankower Skin-Szene nach dem Geständnis von Ingo K. nachermittelt wird, konnte Picard nicht sagen. K. hatte ausgesagt, er würde mögliche Tatbeteiligte wiedererkennen.
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