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„Ein Generalstreik hätte mehr gebracht“

Walesas innergewerkschaftlicher Gegenspieler Andrzej Gwiazda kritisiert Zugeständnisse an Regierung  ■ I N T E R V I E W

Andrzej Gwiazda war während der Solidarnosc-Zeit Mitglied der Landeskommission und kandidierte auf dem Gewerkschaftstag 1981 in Oliva bei Gdansk erfolglos gegen Lech Walesa. Innerhalb der Gewerkschaft Gegner einer Verständigungslinie, seit 1986 Leiter der „Arbeitsgruppe der Landeskommission“, die die Einberufung derselben fordert, was von Walesa abgelehnt wird.

taz: Wie beurteilen Sie die Ergebnisse des runden Tisches?

Andrzej Gwiazda: Erstmal bin ich der Ansicht, daß das alles in Geheimabsprachen schon vorher ausgehandelt wurde, und wir jetzt nur die Inszenierung für die Öffentlichkeit erleben. Der runde Tisch ist ja nur das Ergebnis einer siebenjährigen Linie in der Gewerkschaft, und ich bin nicht nur mit dem Ergebnis, also dem runden Tisch, nicht einverstanden, sondern mit dieser ganzen Linie. Allein die Legalisierung von NZS (unabhängige Studentengewerkschaft, d.Red.) betrachte ich als einen gewissen Fortschritt.

Was hätte denn herauskommen müssen, damit Sie es als Erfolg betrachten?

Von seiner ganzen Anlage her konnte der runde Tisch das nicht bringen. Nicht nur bei dieser Art der Verhandlung. Der Senat beispielsweise wurde 1946 aufgelöst, und jetzt wird er eben wieder eingeführt. Aber der Senat ist keine Institution, die Entscheidungsbefugnisse haben wird, er kann höchstens einige Entscheidungen des Sejm blockieren, und im Sejm hat die Opposition oder Gesellschaft nur 35 Prozent der Sitze. Mit ihrem Einverständnis dazu hat die Opposition sozusagen das Fehlen von Demokratie legitimiert. Das ist keine qualitative Veränderung zu dem was bisher war, nur eine Blume mehr im Korb.

Aber diese Festlegungen gelten nur für eine Legislaturperiode.

Das heißt nur, daß es weitere vier Jahre Freiheit für die Kommunisten geben wird. Und es wird eine Solidarnosc geben, die schon vor ihrer Zulassung gegen Streiks Stellung genommen hat und somit keine tatsächliche Verteidigerin der Arbeiterinteressen mehr sein kann. Aber das kommt eben dabei raus, wenn man sich auf solche Kabinettsverhandlungen einläßt. Bei einem Generalstreik wäre das anders gewesen...

Walesa sagt, die Streikwellen im Mai und August letzten Jahres waren zu schwach, er mußte verhandeln.

Wenn das wirklich so war, dann hätte er eben gerade nicht verhandeln dürfen. Verhandeln darf man nur, wenn man stark ist. Sonst zahlt man für das Übereinkommen einen zu hohen Preis. 1980 war unser Preis nur, daß wir aufhörten zu streiken und dafür haben wir sehr viel bekommen.

Hat der runde Tisch Solidarnosc gespalten?

Nein. Nur ein Teil der Führung geht seinen eigenen Weg, hat das Schild von Solidarnosc übernommen, weil das Pluralität garantiert.

Wer ist das genau?

Die Gruppe um Michnik, Kuron, Walesa.

Die sogenannte „laizistische Warschauer Linke“?

Sehen Sie, ich würde das nicht in diesem Rechts-links -Schema betrachten wollen. Vor dem Ersten Weltkrieg waren rund 90 Prozent der Konservativen in Polen zur Zusammenarbeit mit den Teilungsmächten bereit. Zugleich vertraten rund 90 Prozent der Linken, also Sozialdemokraten und Sozialisten, die Ansicht, man müsse zuerst für die Unabhängigkeit kämpfen. Und das taten sie auch wirklich. Mit Ausnahme der Kommunisten, die keine überragende Bedeutung hatten. Heute, wo wir sozusagen unter polnischer Besatzung leben, sind die Verhältnisse umgekehrt. Da stehen diese Leute um Kuron, Michnik, auf den Positionen der Konservativen aus dem Neunzehnten Jahrhundert.

Was wäre ihre Alternative zum runden Tisch?

Die Gewerkschaft in den Betrieben abbauen, die Strukturen stärken. Im Moment ist Solidarnosc in den Betrieben doch viel zu schwach: Walesa und die Solidarnosc-Führung rufen dazu auf, nicht zu streiken, aber die Btriebe streiken trotzdem überall im Land. Das sagt doch alles.

Sie sprechen oft von der „neuen Solidarnosc“, das heißt, der von Walesa, Kuron usw. Im Gegensatz zur alten von 1981. Aber nach der Legalisierung hindert doch niemand daran, einzutreten und Solidarnosc sozusagen wieder zur „alten“ zu machen.

In den fünfziger und sechziger Jahren hat man auch geglaubt, wenn alle ordentlichen Leute in die Regierung eintreten, wird was Gescheites draus, dann kann man was erreichen. Spätestens am 13. Dezember 1981 mußten diese Leute erkennen, das das nichts bringt.

Das neue Vereinsgesetz sieht auch die Möglichkeit vor, politische Vereinigungen zu gründen, die faktisch Parteien sein können, auch wenn sie formal nicht so heißen. Wollen Sie davon Gebrauch zu machen?

Einstweilen nicht, ich bleibe Gewerkschafter, auch wenn nicht klar ist, was diese Gewerkschaft eigentlich bedeutet. Das ist eine Solidarnosc, die ihre Legalisierung damit erkauft hat, daß sie zum Gürtelengerschnallen, zu Preiserhöhungen und Streikverzicht aufgerufen hat, also die Verteidigung der Arbeiterinteressen praktisch aufgibt.

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